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Warum wir im Kampf gegen Hunger und Armut nicht nachlassen dürfen

Weltweit überlagern sich Krisen. Deswegen braucht es vereinte Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit, mahnt GIZ-Vorstandssprecher Thorsten Schäfer Gümbel. Besonders hat er die Situation von Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern im Blick.
von Jonas Jordan · 10. Juli 2023
Thorsten Schäfer-Gümbel ist Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Thorsten Schäfer-Gümbel ist Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Mit rund vier Milliarden Euro hat das Geschäftsvolumen der GIZ im vergangenen Jahr erneut einen Höchstwert erreicht. Doch mit dem kommenden Bundeshaushalt sollen die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit sinken. Wo müssen Sie künftig den Rotstift ansetzen?

Thorsten Schäfer-Gümbel: Der Haushalt wurde am Tag unserer Jahrespressekonferenz beschlossen. Wir müssen uns nun erst einmal gemeinsam mit unseren Auftraggebern die Zahlen genau anschauen und bewerten. Erst dann können wir konkrete Ableitungen treffen. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat während unserer Jahrespressekonferenz mitgeteilt, dass das BMZ die Mittel für die geplante bilaterale technische Zusammenarbeit strukturell nicht kürzen will.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat enormen Einfluss auch auf die deutsche Politik. Welchen Beitrag leistet die GIZ als Teil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Blick auf die Ukraine?

Ein Ende des Krieges ist derzeit leider nicht absehbar; der Fokus der GIZ liegt daher darauf, die ukrainische Bevölkerung in der aktuellen Situation bestmöglich zu unterstützen. So haben wir zum Beispiel dringend benötigte Güter beschafft. Allein im vergangenen Jahr waren das unter anderem rund 3.000 Generatoren, um die Energieversorgung zu sichern. Neben der kurzfristigen Hilfe geht es – wo immer möglich – darum, über die akute Krise hinauszudenken. Wir unterstützen die Ukraine schon heute im Bereich Infrastruktur und wirtschaftlicher Wiederaufbau. Und dabei, sie fit zu machen für den EU-Beitritt. Wir helfen auch Unternehmen, damit sie in Zeiten des Krieges weiterarbeiten können. Das geht unter anderem über Zuschüsse, sogenannte Minigrants.

Zugleich hatte der russische Angriffskrieg massive Auswirkungen mit Blick auf die Bekämpfung von Hunger und Armut weltweit. Wie sieht die Arbeit der GIZ aus, um diese Auswirkungen abzufangen beziehungsweise zu lindern?

Weltweit überlagern sich Krisen. Das hat zur Folge, dass immer mehr Menschen in Armut leben und an Hunger leiden. Wenn Dünger- und Weizenimporte einbrechen, werden Nahrungsmittel vor allem in Afrika noch knapper als ohnehin schon. Als konkretes Beispiel, wie wir arbeiten, möchte ich den Niger nennen. Dort arbeitet die GIZ seit 2020 in den Regionen Tahoua und Zinder daran, die Bevölkerung resilienter zu machen. Frauen lernen, ihr Haushaltseinkommen zu erhöhen, indem sie einheimische Wildpflanzen wie Hanza anbauen und verarbeiten. Diese Pflanzen haben sich den klimatischen Bedingungen angepasst. Sie sind ein zuverlässig verfügbares und gesundes Nahrungsmittel, das auch weiterverkauft werden kann. Bislang hat die GIZ in Zinder und Tahoua mehr als 3.300 Haushalte, und damit rund 23.300 Menschen, mit einkommensschaffenden Maßnahmen erreicht.

Was bedeutet das mit Blick auf die Erfüllung der Sustainable Development Goals (SDGs), deren Halbzeitbilanz im Herbst ansteht?

Die Agenda 2030 leitet unsere Arbeit. Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) verabschiedet. Es ist jetzt schon klar, dass es noch ein sehr weiter Weg ist, soziale Gerechtigkeit, sichere Ernährungslagen, Klimaanpassung und viele weitere der 17 Ziele zu erreichen. Diese Anstrengung können wir nur mit vereinten Kräften bewältigen. Deshalb gilt auch für die kommenden sieben Jahre bis 2030: Wir dürfen als Weltgemeinschaft keinesfalls nachlassen! Im Gegenteil, wir müssen die Anstrengungen verstärken.

Welche Ziele sind am meisten gefährdet?

Wir hinken bei vielen Zielen deutlich hinterher. Die Halbzeitbilanz zu den Nachhaltigkeitszielen wird bescheiden ausfallen. Auch, weil die Corona-Pandemie Entwicklungsfortschritte zunichte gemacht und die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges tiefe Spuren in den Finanzierungslinien der globalen Agenden hinterlassen hat. Die Industrieländer sind in einer klaren Mitverantwortung, Entwicklung voranzutreiben und Staaten und Gesellschaften resilienter zu machen. Die SDG sind dafür der Gradmesser. Je mehr und besser wir sie erreichen, desto geringer die Gefahr von Krisen, Kriegen, Fragilität, Fluchtbewegungen im globalen Süden.

Welche Rolle spielt für die Arbeit der GIZ die Stärkung von Frauen in Entwicklungsländern als Teil einer feministischen Entwicklungszusammenarbeit?

Die GIZ arbeitet weltweit an Perspektiven und bindet die lokale Bevölkerung ein. Besonders im Blick haben wir dabei Frauen. Denn dort, wo sich Frauen und Mädchen einbringen können, gibt es weniger Armut und Hunger, mehr Wohlstand und mehr Sicherheit. Gleichzeitig sind Frauen und Mädchen die größte benachteiligte Gruppe: ihre Rechte sind in vielen Bereichen eingeschränkt, sie verfügen über weniger Ressourcen und sind politisch unterrepräsentiert. Deshalb haben wir die Stärkung von Frauen systematisch in unserem Tun verankert.

Denn wir wissen: Wenn Menschen Perspektiven haben, wenn insbesondere Frauen ihre Rechte kennen und sie auch haben, wenn die Ernährung gesichert ist, wenn soziale Gerechtigkeit herrscht und Kinder zur Schule gehen können, dann sind dies die Grundvoraussetzungen für menschliche Sicherheit und gerechte Teilhabe. Und damit die Basis, auf der ein Land politisch und gesellschaftlich stabiler und resilienter wird und sich weiterentwickeln kann. Man kann es auf die einfache Formel bringen: Frieden braucht Entwicklung.

Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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