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Warum Südafrika so gelassen auf die Bundestagswahl 2021 blickt

Südafrika ist ein wichtiger Partner Deutschlands. Die Beziehungen sind stabil, niemand rechnet in Pretoria mit Änderungen nach einem Regierungswechsel. Olaf Scholz genießt hier nach seinem Einsatz für eine globale Mindeststeuer einen sehr guten Ruf.
von Uta Dirksen · 1. Oktober 2021
Die Union Buildings in Pretoria: der traditionelle Amtssitz der Regierung und des Präsidenten der Republik Südafrika
Die Union Buildings in Pretoria: der traditionelle Amtssitz der Regierung und des Präsidenten der Republik Südafrika

Die südafrikanischen Medien sind in diesen Tagen voll von Berichterstattung über Wahlen, allerdings nicht den deutschen. Vielmehr starten in Südafrika die Kampagnen für die richtungsweisenden Kommunalwahlen am 1. November. Die Ergebnisse aus Berlin sind bestenfalls Randnotiz.

Der nahende Abschied von Angela Merkel erzeugte vorab jedoch einiges Interesse. Sie erfährt in Südafrika große Wertschätzung, speziell auch seitens der Regierung. Kein anderes Land in Subsahara-Afrika hat sie in ihrer Amtszeit häufiger besucht. Noch im August war Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa für einen Kurzbesuch in Berlin: offiziell für das Treffen der gemeinsam getragenen G20-Initiative Compact with Africa – aber vor allem wohl auch, um sich noch einmal persönlich von Merkel verabschieden zu können.

Ausgezeichnete Zusammenarbeit mit Olaf Scholz

Doch auch mit Olaf Scholz existiert eine ausgezeichnete Zusammenarbeit. So forderten Finanzminister Scholz und sein damaliger südafrikanischer Counterpart Tito Mboweni mit drei weiteren Kollegen in einem gemeinsamen offenen Brief die G20-Staaten zur Einführung einer Mindeststeuer für Unternehmen auf – mit Erfolg.

Die wechselseitigen Besuche und gemeinsamen Initiativen sind Ausdruck solider bilateraler Beziehungen, die vor allem auch auf wirtschaftlichen Interessen beruhen. Beide Länder sind füreinander die wichtigsten Handelspartner auf ihren Kontinenten. Hinzu kommt eine vertiefte bilaterale Zusammenarbeit, zuletzt auch zugunsten des Aufbaus von Impfstoff-Produktionskapazitäten in Südafrika.

Südafrika als Stabilisator der Region

Südafrika wird von Deutschland als politischer Stabilisator in der Region sehr geschätzt und ist einer von acht sogenannten globalen Partnern der Bundesrepublik. Man blickt hier wohl auch deshalb so gelassen auf die deutschen Wahlen, weil kaum jemand erwartet, dass sich an diesen Beziehungen unter einer neuen Regierung grundlegend etwas ändert.

In einigen progressiven Zirkeln gibt es zumindest zarte Hoffnungen darauf, dass die beiden gewichtigen Demokratien zukünftig noch stärker gemeinsam an globalen Fragen arbeiten. In der genannten Initiative von Scholz und Mboweni ist dies gelungen, die globale Mindeststeuer ist beschlossen. Mit der Initiative zur zeitweisen Aussetzung des Patentschutzes für Technologien zur Covid-Bekämpfung fand Südafrika in Deutschland hingegen keine Unterstützung. Mehr als zwei Drittel der Südafrikanerinnen glauben dennoch, die Pandemie habe die Welt enger zusammenrücken lassen. In Deutschland sind das nur etwas über die Hälfte.

Mehr Dialog und Zusammenarbeit erwünscht

Die Zahlen des jüngsten Global Census der FES New York zeigen auch, dass die Unterstützung für den Multilateralismus und die Vereinten Nationen (VN) in Südafrika wesentlich höher ist als in Deutschland. Das ist eine gute Basis für mehr strategischen Dialog: zur Demokratisierung, zur Stärkung globaler Governance und der VN, zur Reduzierung globaler Ungleichheit und zur Bewältigung der Klimakrise. Dieser Austausch muss auch verstärkt unterhalb der Regierungsebene stattfinden, zwischen Progressiven in Parteien, Parlament und Gewerkschaften.

Doch genauso wie im deutschen Wahlkampf internationale Themen kaum eine Rolle spielten, überwiegt auch in Südafrika derzeit leider die Nabelschau. Viel Energie geht in die von Präsident Ramaphosa forcierte Aufarbeitung der Korruption und der state capture, die in der Amtszeit von Präsident Jacob Zuma zwischen 2009 und 2018 eskalierte. Verbunden ist diese mit einem erbitterten Machtkampf innerhalb des African National Congress (ANC). Dieser steckt zudem in finanziellen Schwierigkeiten und liegt angesichts ausgebliebener Lohnzahlungen im Clinch mit seinen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen. Während der ANC mit sich selbst beschäftigt ist, vertieft sich die soziale Krise im Land. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 35 Prozent. Gerade in den ärmeren Stadtteilen gibt es immer wieder Engpässe in der Versorgung mit Wasser und Strom. Derart angezählt geht der ANC nun in den Kommunalwahlkampf. Erwartet wird ein Ergebnis von landesweit unter 50 Prozent. In noch mehr Gemeinden und Provinzen als jetzt schon wird es wohl Koalitionsregierungen geben müssen. Und es spricht einiges dafür, dass dies irgendwann auch erstmals auf nationaler Ebene nötig werden könnte.

Neue Regierung wird Aufmerksamkeit steigern

Diese Entwicklung macht die aktuelle deutsche Regierungsfindung für Südafrika dann doch wieder relevant. Denn es interessiert durchaus, wie in Berlin jetzt aus dem Wahlergebnis Mehrheiten gebildet werden und wie Koalitionsverhandlungen und -verträge gelingen. Und so wird die hiesige Aufmerksamkeit vermutlich steigen, sobald in Berlin tatsächlich eine neue Regierung steht. Wie diese aussehen wird, so das leicht enttäuscht vorgetragene Fazit in den Morgennachrichten des Radiosenders 702 am 27. September, sei ja nun leider noch „ziemlich unklar“.

 

Dieser Text erschien zuerst auf www.ipg-journal.de

Autor*in
Uta Dirksen

leitet das Südafrika-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Johannesburg.

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