Warum SPD-Landesregierungen nicht nach Afghanistan abschieben wollen
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Die Wahrnehmung innerhalb der Bundesregierung könnte unterschiedlicher kaum sein: Abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abschieben? Kein Problem, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Das Land sei „hinreichend sicher“. Dagegen heißt es auf der Webseite des Auswärtigen Amts: „Landesweit kann es zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und anderen Gewaltverbrechen kommen“. Von Reisen nach Afghanistan sei deshalb dringend abzuraten.
Ohne Sicherheit und Würde
Trotz der Reisewarnung aus dem Außenministerium ist am Donnerstagmorgen ein Charter-Flugzeug mit Passagieren aus Deutschland in der afghanischen Hauptstadt Kabul gelandet. An Bord waren 30 afghanische Staatsbürger, deren Asylanträge in Deutschland zuvor abgelehnt worden waren.
Die Praxis der „Rückführungen“ nach Afghanistan – wie es im Beamtendeutsch heißt – stößt in Deutschland auf Kritik. Fünf Bundesländer haben Zweifel an der Theorie vom sicheren Herkunftsland Afghanistan: Die Regierungen von Bremen, Thüringen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein – alle unter Beteiligung der SPD – würden bei den Abschiebungen am liebsten nicht mehr mitmachen. In Schleswig-Holstein gibt es sogar einen generellen Abschiebestopp für ausreisepflichtige Asylbewerber aus Afghanistan. Laut Stefan Studt, SPD-Innenminister des Landes, sei es derzeit nicht möglich, Menschen mit afghanischem Pass „in Sicherheit und Würde“ in ihre Heimat auszuweisen.
Thomas de Maizières „politische Rhetorik“
Die gefährlichen Situation in dem Land kennt auch Alexey Yusupov. Der Politikwissenschaftler war bis Ende 2016 zwei Jahre lang Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul. Selbst die Hauptstadt sei ein unsicherer Ort, sagt Yusupov. Die Einschätzung des Bundesinnenministers von Afghanistan als „hinreichend sicher“ teilt er nicht. De Maizières Behauptungen seien „politische Rhetorik“ und „völlig aus der Luft gegriffen“. Der Innenminister beteuere zwar, es gebe sichere Regionen in Afghanistan – wo diese liegen sollen, habe er bislang jedoch nicht erklärt. „Und das könnte er auch gar nicht“, meint Yusupov.
Seitdem die Tailban 2001 von einer internationalen Militärkoalition vertrieben wurden, sei 2016 für Afghanistan „das schlimmste Jahr seit der Intervention“ gewesen. Yusupovs Einschätzung wird auch von der UN-Mission in Afghanistan unterstützt: Alleine 2016 habe es in dem Land über 11.000 zivile Tote und Verletzte gegeben, berichteten die Vereinten Nationen im Dezember.
Afghanen in Deutschland: „Leben in ständiger Angst“
Trotz der bedrohlichen Lage in dem Land genießen nicht alle Menschen aus Afghanistan einen Anspruch auf Asyl in Deutschland. Dies ist für politisch Verfolgte reserviert. Wer also vor dem Bürgerkrieg aus Afghanistan nach Deutschland geflohen ist, nicht aber vor politischer Verfolgung, ist vor einer Abschiebung nicht sicher. Aus diesem Grund herrsche unter Afghanen in Deutschland große Unsicherheit, sagt Kava Spartak, der in Berlin das Afghanische Kultur- und Beratungszentrum „Yaar“ leitet. Die Abschiebepraxis bedeute für viele ein „Leben in ständiger Angst“. Können Sie weiter in Frieden in der Bundesrepublik leben oder werden sie bald zurück in den Krieg geschickt?
„Die Stimmung ist durch und durch gedrückt“, so Spartak im Gespräch mit vorwärts.de. Vielen Afghanen fehle das Verständnis für das Verhalten der deutschen Behörden. Wie könne es sein, dass in ihrem Heimatland seit 40 Jahren Krieg herrsche, Deutschland ihnen aber keinen subsidiären Schutz gewähren wolle, fragen sie sich.
Abschiebepraxis als politisches Kalkül
Alexey Yusupov hält die jüngste Abschiebung von 30 Menschen nach Afghanistan für eine „rein symbolische“ Geste des Innenministers. Würde dieses Tempo in der Abschiebepraxis aufrechterhalten, es würde über 100 Jahre dauern, alle ausreisepflichtigen Afghanen in ihr Heimatland zurückzubringen. Ein unrealistischer Plan also, der Thomas de Maizière vorschwebt.
Auch Kava Spartak erkennt in der Haltung des Innenministers politisches Kalkül. Er ist überzeugt, mit den Abschiebungen wolle de Maizière Härte gegenüber Asylbewerbern beweisen – und damit politisch auf die Rechtspopulisten zugehen. Keine gute Idee, findet Spartak: „Das sollte man noch mal überdenken.“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.