International

Warum in Schweden ein massiver Rechtsruck droht

Bei den Wahlen am 9. September wird die Abwahl von Rot-Grün erwartet. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten könnten zweitstärkste Kraft werden. Mit der Fokussierung auf Flüchtlingszuzug, Gangkriminalität und Gewaltverbrechen bestimmen sie die Debatte. Steht das „nordische Modell“ der Sozialdemokratie vor dem Aus?
von Christian Krell · 5. September 2018

Schweden, das ist nicht nur das Land von Pippi Langstrumpf, ABBA und IKEA, sondern auch das Land mit einem der besten Sozialstaaten der Welt, beeindruckender Geschlechtergerechtigkeit und liberal-gelassenem Blick auf die Dinge. Noch. Untrennbar ist dieses Bild verbunden mit der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens (SAP). Sie hat das Land über Jahrzehnte mit regiert und das „nordische Modell“ entscheidend geprägt. Damit könnte es endgültig vorbei sein, zumindest, wenn man den Prognosen zur Wahl am 09. September vertrauen darf.

Aktuell führen die Sozialdemokraten zwar in den Meinungsumfragen mit etwa 25 Prozent. Als zweitstärkste Partei folgen aber unmittelbar die rechtspopulistischen Schwedendemokraten mit 19 Prozent, ungefähr gleichauf mit der größten konservativ-liberalen Partei, den Moderaten mit ca. 18 Prozent. Im Vergleich zu den letzten Wahlen würde das einen deutlichen Rechtsrutsch bedeuten. Die rot-grüne Minderheitsregierung Stefan Löfvens wäre abgewählt.

Zunehmende Spaltung der Gesellschaft

Woher kommt die Unzufriedenheit? Auf den ersten Blick ist die Frage nicht leicht zu beantworten. Schweden steht gut da, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, der Export läuft auf Hochtouren. Ein genauerer Blick offenbart aber Risse im schwedischen Wohlfahrtsstaat. Seit den 1990er Jahren wurde wichtige Bereich des Sozialstaates privatisiert, die Lohnungleichheit nahm deutlich zu, bezahlbarer Wohnraum ist in den Städten kaum zu finden und die soziale Spaltung des Landes hat mitunter dramatische Ausmaße angenommen. Auch Schweden hat sich dem internationalen Trend des Neoliberalismus angeschlossen. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen dem ärmsten und dem reichsten Teil Stockholms liegt bei 16 Jahren. Manche Teile des Landes fühlen sich abgehängt, andere sind verunsichert, ob sie noch abgesichert sind, falls sie von Krankheit oder Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Rechtspopulisten profitieren von Ängsten

In diesem Klima der Verunsicherung gelingt es den rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die öffentliche Debatte zu prägen. Ihnen ist es gelungen, für das „alte“ Schweden zu stehen, wie es wahrscheinlich nie war. Die 1988 unter anderem von einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS mitgegründete Partei hat rechtsextreme Wurzeln, gibt sich heute moderat. Ihrer Positionen sind aber eindeutig. Sie führt eine laute Debatte darum, was schwedisch ist und wer Schwede ist. Juden und Samen, so die klare Einordnung der Partei, gehören etwa nicht dazu. Die Partei ist für einen Austritt Schwedens aus der EU, die Zuwanderung nach Schweden soll auf Null gedrosselt werden. Im Zuge der Flüchtlingsaufnahme 2015 erhielt die Partei hohe Zustimmung. Meldungen über Gangkriminalität und Gewaltverbrechen geben der Partei weiter Auftrieb. Dass die Zahl der Verbrechen insgesamt rückläufig ist, geht dabei im Getöse unter.

Den Schwedendemokraten ist es gelungen, mit ihrem Fokus auf Migration und Zuwanderung die gesamte politische Debatte zu bestimmen. Andere Themen wie Gesundheit oder preiswerter Wohnraum werden verdrängt vom Wettbewerb darum, welche Partei die härteste Zuwanderungspolitik betreibt und das Land am meisten abschottet. Dass die Schwedendemokraten diesen Wettbewerb immer gewinnen, ist dabei klar. Die Wähler der Schwedendemokraten sind zum größten Teil unsicher Beschäftigte, die besonders vom Abbau des Wohlfahrtsstaates betroffen sind.

Klimawandel: Diskurshoheit der Schwedendemokraten gebrochen

Fast zufällig wurde im vergangenen Sommer deutlich, wie sich die politischen Mehrheitsverhältnisse ändern ließen. Auch in Schweden gab es Rekordtemperaturen, es war ungewöhnlich heiß im Sommer, die Wälder brannten und in den Schären starben die Fische im viel zu warmen Wasser. Für ein paar kurze Wochen wurde nicht mehr über Migrationspolitik gesprochen, sondern darüber, ob dieser Planet noch zu retten ist und wenn ja, wie die Erderwärmung gestoppt werden kann.

Sofort haben die Schwedendemokraten einige Prozentpunkte verloren, Grüne und Sozialdemokraten haben zugelegt. Für die Absicherung und Weiterentwicklung des schwedischen Wohlfahrtsstaates könnte das entscheidend sein, schließlich planen Konservative und Liberale einen Niedriglohnsektor einzuführen, die Gewerkschaften zu schwächen und das Bildungs- und Gesundheitssystem weiter zu privatisieren.

Tolerierung der Konservativen durch Rechte?

Aktuell liegt der fortschrittliche Block in den Meinungsumfragen knapp vor der konservativen Allianz. Verlierer werden wahrscheinlich die großen, bewährten politischen Kräfte sein: Die Moderaten ebenso wie die Sozialdemokraten. Aber wie auch immer genau die Parteien am kommenden Sonntag abschneiden, die Regierungsbildung wird in jedem Fall eine große Herausforderung. Denn keiner der beiden Blöcke verfügt über eine eigene Mehrheit. Zwei Optionen sind denkbar: Die konservativen Kräfte bilden unter Tolerierung der Schwedendemokraten eine Regierung oder es gibt eine lagerübergreifende „große“ Koalition.

Autor*in
Christian Krell

ist Direktor des Büros der FES für die nordischen Länder mit Sitz in Stockholm, Lehrbeauftragter der Universität Bonn und Mitglied der Grundwertekommission der SPD.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare