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Warum Russland nach der Bundestagswahl nichts Gutes erwartet

Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sind belastet. Von keiner Koalition in Berlin erwartet der Kreml hier eine deutliche Verbesserung. Besonders groß sind die Sorgen in Moskau, vor einer starken Rolle der Grünen in der Außenpolitik.
von Peer Teschendorf · 29. September 2021
Russlands Hauptstadt Moskau: Blick auf den Großen Kremlpalast, der für feierliche Staatsakte genutzt wird, wie etwa die Amtseinführung des russischen Präsidenten oder den Empfang ausländischer Staatsgäste.
Russlands Hauptstadt Moskau: Blick auf den Großen Kremlpalast, der für feierliche Staatsakte genutzt wird, wie etwa die Amtseinführung des russischen Präsidenten oder den Empfang ausländischer Staatsgäste.

In der Regel sind Wahlen in Europa kein Thema, welches große Aufmerksamkeit in den russischen Medien erhält. Dass in den letzten Wochen dennoch verhältnismäßig viel über Angela Merkel und ihre 16-jährige Amtszeit gesprochen wurde, zeigt die besondere Bedeutung der Deutschen für die russische Politik. Die deutsche Kanzlerin genießt aufgrund ihrer langen Regentschaft und gradlinigen Art einen gewissen Respekt in Russland. Und so schwang auch in der ein oder anderen Analyse etwas Sorge mit, wie sich Deutschland in Zukunft zu Russland stellen wird, welche Rolle das Land noch einnehmen wird in den internationalen Beziehungen.

Deutliche Abkühlung der Beziehungen seit Nawalny

Allerdings kommen die Wahlen auch zu einer Zeit, in der auf Regierungsebene bereits deutliche Ernüchterung über die deutsch-russischen Beziehungen eingetreten ist. Der Wendepunkt war hier die klare Positionierung Angela Merkels im Fall Nawalny. Diese – aus russischer Sicht – deutliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands wurde als Tabubruch aufgefasst.

Die deutliche Abkühlung ist auch in symbolischen Akten sichtbar wie dem ausführlichen Treffen des russischen Außenministers mit Vertretern der AfD-Fraktion. Aus Sicht des Kremls war dies eine willkommene Gelegenheit zur Retourkutsche. Es sprach kein wirkliches Interesse an der deutschen Rechtspartei daraus.

Moskau sieht anti-russische Stimmung in Europa

Auch beim letzten Besuch der Kanzlerin, beim dem ihr mit Glanz und Gloria Respekt gezollt wurde, machte man in der Pressekonferenz zugleich sehr deutlich, dass man die Kritik der Kanzlerin an der Menschenrechtslage im Land nicht mehr ernst nehme. Ausgehend von dieser sehr ernüchterten Einschätzung der deutschen Politik sind die Erwartungen an die neue Bundesregierung nicht sonderlich hoch. Von keiner Konstellation erwartet man sich eine deutliche Verbesserung der Beziehungen. Man ist davon überzeugt, dass eine anti-russische Stimmung in Europa dominiert, dass man weiter versuchen wird, Russland einzuhegen, und dass Deutschland sich gegen diesen Trend weder stemmen kann noch will.

Die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung sieht man nur bei einer starken Rolle der Grünen in der Bundesregierung. Im Vorfeld der Wahlen wurden die Grünen insbesondere in konservativeren Kreisen zu einem Schreckgespenst der deutsch-russischen Beziehungen hochstilisiert. Dieses Bild basiert zum Teil auf ihrer scharfen Kritik an der Menschenrechtslage, ihrer deutlichen Position zu LGBTQI+ und ihrer klaren Ablehnung von Nord Stream 2. Gerade die Frage der Energiebeziehungen trifft in breiten Kreisen der Regierung einen Nerv. Auch die Aussage von Robert Habeck zu Waffenlieferungen anlässlich seines Besuchs in der Ukraine wurde kritisch aufgenommen.

Russland wird sich pragmatisch arrangieren

Und dennoch wird in Russland in der Außenpolitik vor allem pragmatisch gedacht. Auch mit einer potentiellen grünen Außenministerin wird man sich arrangieren. Der jetzt anstehenden Regierungsbildung blickt man daher entspannt entgegen. Die neue Regierung wird man testen. Ein Standing wie das der Kanzlerin muss man sich aus Sicht des Kremls erst erarbeiten.

Dieser Text erschien zuerst auf www.ipg-journal.de

Autor*in
Peer Teschendorf

leitet seit 2018 die Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation.

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