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Warum Macrons Wiederwahl für Deutschland und Europa ein Segen ist

Emmanuel Macron bleibt Präsident Frankreichs. Ein Sieg von Marine Le Pen hätte das Ende der deutsch-französischen Zusammenarbeit bedeutet und die EU in eine Existenzkrise gestürtzt. Ein erstes Telefonat am Wahlabend führte Macron mit Olaf Scholz.
von Kay Walter · 25. April 2022
Jubel in Paris bei den Anhänger*innen von Emmanuel Macron: Um Punkt 20.00 Uhr meldet das französische Fernsehen am 24. April 2022 den Sieg des Staatspräsidenten im zweiten Wahlgang um das Präsidentenamt.
Jubel in Paris bei den Anhänger*innen von Emmanuel Macron: Um Punkt 20.00 Uhr meldet das französische Fernsehen am 24. April 2022 den Sieg des Staatspräsidenten im zweiten Wahlgang um das Präsidentenamt.

Emmanuel Macron ist mit 58,55 Prozent wiedergewählt worden. Der alte Präsident Frankreichs ist auch der neue. Er hat sich mit 17 Punkten Vorsprung gegen die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen durchgesetzt. Knapp geht anderes.

Einerseits ist das Wahlergebnis für den 44-jährige Macron um rund siebeneinhalb Prozentpunkte schlechter als vor fünf Jahren. Andererseits ist er erst der vierte Präsident der fünften Französischen Republik, dem die Wiederwahl überhaupt geglückt ist und der erste seit 20 Jahren. Und das mit dem zweitbesten Ergebnis - De Gaulle und auch Mitterand gewannen ihre Wiederwahl jeweils deutlich knapper. Nur Chirac konnte 2002 gegen Marine Le Pens Vater Jean-Marie einen Erdrutschsieg erreichen, damals war es mehr als heute eine anti-rechtsextreme Richtungswahl.

Deutschland und Europa können aufatmen

Frankreich kann erst einmal aufatmen, zumindest durchschnaufen. Das gilt erst recht für Deutschland und Europa. Damit zu einer ersten Analyse des Ergebnisses, zu Schlussfolgerungen, die bereits am Tag nach der Wahl zu ziehen und zu begründen sind.

Für Europa und besonders für Deutschland ist das Ergebnis ein Segen. Marine Le Pens politische Agenda ist zutiefst von antideutschen Ressentiments geprägt. Sie hatte angekündigt, die enge deutsch-französische Zusammenarbeit auf allen Ebenen zu beenden, vor allem die technologischen und militärischen Gemeinschaftsprojekte und das wegen „unüberbrückbarer Differenzen“. Allein diese Ankündigung wäre gleichbedeutend mit einer schweren Krise der EU gewesen.

Le Pen wollte de facto aus der EU raus

Aber zudem wollte Frau Le Pen auch - gegen geltende Verträge - die französischen Beiträge zum EU-Haushalt massiv zusammenstreichen, französisches Recht prinzipiell über EU-Recht stellen und alle Nicht-Franzosen rechtlich und finanziell schlechter stellen als Franzosen und damit faktisch aus der EU ebenso aussteigen, wie aus den NATO-Kommandostrukturen.

Das alles ist mit dem gestrigen Ergebnis zum Glück verhindert worden. Zu den Klängen der Europahymne, Beethovens Ode an die Freude, zog der wiedergewählte Amtsinhaber gegen 21 Uhr dreißig, begleitet von Jugendlichen, auf das Pariser Champs de Mars vor dem Eiffelturm, wo seine Anhänger den Sieg feierten. Eine große Geste. Macron ist gerade auch wegen seiner Pro-Europa-Agenda mit einem zweiten Mandat ausgestattet worden. Sein erstes Telefonat mit einem ausländischen Regierungschef führte Macron am Wahlabend mit Bundeskanzler Olaf Scholz und auch seine erste Auslandsreise wird ihn nach Berlin führen.

Macron ist kein „Präsident der Reichen“

Damit zu einigen kontrafaktischen Vorstellungen, die sich sowohl in Frankreich wie auch in Deutschland und in Teilen der Sozialdemokratie durchgesetzt zu haben scheinen. Gerücht Nummer eins: Emmanuel Macron sei eindeutig der „Präsident der Reichen“. Richtig daran ist: Macron ist ganz sicher kein Linker, selbst wenn er drei Jahre Mitglied der französischen Sozialisten (PS) war. Richtig ist zweitens, dass die Spitzenverdiener und Großkonzerne im Land von seiner Politik profitiert haben.

Richtig ist aber auch: In den fünf Jahren von Macrons erster Amtszeit sind der Mindeststundenlohn wie das monatliche Mindesteinkommen und die Mindestrente ganz erheblich stärker gestiegen als in der Zeit seiner beiden Vorgänger zusammengenommen! Und sein unmittelbarer Vorgänger Francois Hollande war Chef der PS. Die Wohnsteuer, die einer 13. Monatsmiete entspricht, wurde ersatzlos gestrichen. Alles Faktoren, die gerade und vor allem Geringverdienern helfen. Zudem wurden unter anderem in allen sozialen Brennpunkten des Landes die Klassenstärken in den Schulen halbiert auf maximal 12 Schüler*innen pro Klasse. Das darf man zur Kenntnis nehmen.

Mélenchon ist ein Nationalist

Gerücht Nummer zwei: Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon sei der wirklich ernsthafte Gegenkandidat und vertrete ein zutiefst sozialdemokratisches Programm. Das kann nur behaupten, wer Nationalismus für links hält und wer, wie die deutschen Konservativen, der festen Überzeugung ist, es gehöre zum Wesenskern der Sozialdemokratie auch trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die prinzipielle Freundschaft zu Putins Russland zu bestehen. Das genau ist Mélenchon und das ist, mit Verlaub, blanker Unsinn.

Auch wenn die Französinnen und Franzosen mangels Alternative Mélenchon vor 14 Tagen ein sehr gutes Wahlergebnis verschafft haben, er ist eben kein linker Hoffnungsträger. Er ist, im Gegenteil, Ausdruck ihres Niedergangs. Ganz eindeutig braucht auch Frankreich eine starke und kluge Linke, aber tunlichst ohne einen nationalistischen und europafeindlichen „Spitzenmann“. Und doch: Es könnte anders kommen. Die bevorstehende Parlamentswahl hat Mélenchon zum dritten Wahlgang ausgerufen. Wie gleichermaßen Marine Le Pen, will er dort Revanche für die gestrige Niederlage.

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