Warum Macron auf eine stabile deutsche Regierung angewiesen ist
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Die große Koalition wird kommen. Das sorgt für Erleichterung in Europa. Auch, weil das Ergebnis mit zweidrittel Ja-Stimmen am Ende dann doch überaschend deutlich ausgefallen ist.
Es war an der Zeit
„Eine gute Nachricht für Europa“, nennt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das SPD-Votum. Und fügt hinzu: „Frankreich und Deutschland müssen zusammenarbeiten, um neue Initiativen zu entwickeln, die das europäische Projekt voranbringen.“ Auch EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici betont ausdrücklich, Deutschland sei jetzt bereit, „sich für ein stärkeres Europa einzusetzen“. Und Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker hat bereits vor dem Wochenende erklärt, er mache sich „mehr Sorgen über das Ergebnis der italienischen Wahlen als über die Abstimmung der SPD-Mitglieder“.
Die Spitzen der europäischen Politik sind allerdings auch der Auffassung, es sei langsam Zeit für Deutschland, zu gewohnter Stabilität zurückzufinden. Denn ohne die Mitwirkung des größten Mitglieds kann und wird es in Europa nicht vorwärts gehen. Dabei sind die Motive der beiden Franzosen und des Luxemburgers ausgesprochen unterschiedlich.
Im Zaum halten
Der liberal-konservative Juncker ist in Brüssel Chef einer defacto großen Koalition. Und das mit voller Absicht. Denn Juncker will seinen Nachfolgern (wer immer das sein wird) ein Europa übergeben, das besser, stabiler und bei seinen Bürgern akzeptierter dasteht als je zuvor. Und das kann nur gelingen, wenn einerseits die europäischen Sozialdemokraten und die konservativen Volksparteien einen Interessenausgleich finden und andererseits Deutschland und Frankreich an einem Strang ziehen. Nur so glaubt Juncker, die Nationalpopulisten in den Regierungen Polens und Ungarns im Zaum halten zu können.
Der Sozialist Moscovici dagegen erwartet von der SPD nicht nur Initiativen für ein sozialeres und gerechteres Europa, also etwa Pläne gegen Lohn- wie Steuerdumping, sondern vor allem auch Impulse zur Erneuerung der in ganz Europa schwer gebeutelten Sozialdemokratie. Aus Frankreich sind derartige Impulse eher nicht zu erwarten. Da ist schon die älteste sozialdemokratische Partei gefordert.
Kein eigener Kandidat
Macrons Interesse an einer stabilen Regierung in Deutschland ist partiell noch einmal anders gelagert. Ihn interessiert in erster Linie die Durchsetzbarkeit von Politik. Ohne die Regierungsachse Paris-Berlin kann er zwar vieles vorschlagen, aber nur weniges umsetzen.
Exemplarisch deutlich wurde das in der Frage der Spitzenkandidaten zur EU-Parlamentswahl. Macrons „En-Marche“ gehört keiner Parteienfamilie an. Das bedeutet: Er hat keinen eigenen Kandidaten, der Chancen hätte, sich durchzusetzen. Ein Wahlverfahren mit Spitzenkandidaten kann Macron also nicht wollen. Aber er kann dieses Verfahren gegen das EU-Parlament nicht verhindern. Sein Trumpf ist ein zwischen Paris und Berlin abgestimmtes Regierungshandeln. Wenn Paris und Berlin gemeinsam agieren, bilden weder Kommission noch Parlament das Machtzentrum der EU, sondern der Ministerrat. Deshalb braucht Macron eine starke und handlungsfähige deutsche Regierung.
Neue Ideen
Für die SPD muss es jetzt neben der eigenen Erneuerung darum gehen, all diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Denn ohne eine neue Idee von sich selbst, wird es der europäischen Sozialdemokratie kaum gelingen, wieder auf die Beine zu kommen - erst Recht nicht nach dem italienischen Desaster.
Ohne die Sparpolitik Schäublescher Prägung durch ein europäisches Investitionsprogramm zu ersetzen, wird keine Partei reaktionäre Populisten wieder zurückdrängen, egal ob in Ungarn, Italien, Frankreich oder Deutschland. Und ohne durchsetzbare Politik im Interese der Bürger wird Europa keine neue Strahlkraft gewinnen. Und nicht vorwärts kommen.