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Warum Labour-Chef Jeremy Corbyn nun doch ein zweites Brexit-Referendum will

Am Ende war der Druck auf Jeremy Corbyn einfach zu groß: Nachdem neun Abgeordnete die Labour-Fraktion verließen, musste der Parteichef handeln. Obwohl er selbst ein EU-Skeptiker ist, fordert er nun – aus taktischen Gründen – ein zweites Referendum zum Brexit. Das verschafft Labour eine Reihe von Vorteilen.
von Christos Katsioulis · 26. Februar 2019
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Wer die Suppe eingebrockt hat, soll sie nun auch wieder auslöffeln, so könnte man lapidar die Position beschreiben, die Labour und Jeremy Corbyn in Sachen Brexit seit dieser Woche einnehmen. Denn nach langen Windungen und Verdrehungen hat sich die britische Opposition nun schlussendlich dazu durchgerungen, ihr Gewicht hinter die Forderung nach einem weiteren Referendum zu werfen. Die Bevölkerung, die dem Parlament 2016 den Auftrag gegeben hatte, aus der EU auszutreten, soll nun also auch die Verantwortung dafür übernehmen, wie es mit dem Vereinigten Königreich und seiner Beziehung zur EU weitergeht.

Das Problem mit der Grenze zu Irland

Ganz so einfach ist die Situation natürlich nicht. Sie ist viel komplizierter. Denn nach dem Brexitvotum 2016, den Verhandlungen mit der EU und den Abstimmungen über den Deal im britischen Parlament befindet sich Großbritannien in einer misslichen Lage. Es ist gesetzlich geregelt, dass das Land am 29. März aus der EU austritt. Damit dies nicht chaotisch geschieht und damit die engen Bindungen, die über Jahrzehnte gewachsen sind, nicht jäh abgebrochen werden, braucht es ein Austrittsabkommen.

Dieses muss zwei Dinge regeln: Erstens, die Frage, wie mit den Rechten von EuropäerInnen in Großbritannien, der Austrittsrechnung und – besonders kritisch – mit der Grenze in Irland umgegangen wird.  Zweitens, wie der Zeitplan für beide Seiten aussehen soll, um langfristig gesehen, das gemeinsame Verhältnis in geordnete Bahnen zu bringen.

Sorge vor dem No-Deal-Brexit

Aber der von Theresa May vorgelegte Deal ist im Parlament im Januar abgeschmettert worden. Damit droht der No-Deal Realität zu werden, weil das britische Unterhaus nicht in der Lage scheint, eine konstruktive Perspektive zu entwickeln. Die Selbstblockade der Abgeordneten könnte so weit gehen, dass es aus Versehen zu einem No-deal-Brexit kommt, vor dessen Auswirkungen sogar die Regierung selbst warnt.

Das Problem ist ein Spannungsverhältnis zwischen dem Referendumsergebnis und den beiden großen Parteien im Parlament. Vor allem die Tories, aber auch Labour sind in Sachen Brexit tief gespalten. Bei Labour führte dies in der vergangenen Woche dazu, dass sich eine Gruppe von inzwischen neun Abgeordneten abspaltete und gemeinsam mit drei Tory-Abtrünnigen The Independent Group im Parlament bildete. Zwar war der Brexit nicht der alleinige Grund für diese Abspaltung, aber der offensichtlichste. Während Labour den Brexit bislang als taktisches Manöver nutzen wollte, um die Tories zu Fall zu bringen, stehen die Abweichler klar für ein zweites Referendum und einen Verbleib in der EU.

Labour-Mehrheit will Verbleib in der EU

Dadurch geriet Corbyn selbst unter Druck. Denn nicht nur aus der Fraktion gab es zahlreiche Stimmen gegen seinen taktischen Kurs, auch die Mehrheit der Labour-Mitglieder spricht sich klar für den Verbleib in der EU und mindestens ein zweites Referendum aus. Dieser Konflikt war auf dem Parteitag in Liverpool befriedet worden, aber nur dadurch dass die Partei die Option eines zweiten Referendums eindeutig in ihr Instrumentarium aufgenommen hatte. Damit hielt man sich die Möglichkeit offen, die große Zahl von Remainern mit Labour zu versöhnen und die vielen jungen AktivistInnen, die mit Corbyn in fast allen Aspekten – außer Brexit - übereinstimmen, wieder mit der Parteiführung in Einklang zu bringen.

Nachdem die Idee des zweiten Referendums Anfang des Jahres politisch als fast tot galt, scheint sie nun wieder realistisch zu werden.  Sie musste bei Labour bislang hinter der Forderung nach Neuwahlen zurückstehen, wurde aber nun reaktiviert. Für Corbyn ist das ein weitere taktischer Zug. Denn die Chancen für ein solches Referendum sind zwar weiterhin nicht sehr hoch, weil es wohl keine Mehrheit im Parlament dafür gibt.

Corbyn will Blockierer-Image loswerden

Dennoch bringt es Labour einige Vorteile. Die Gefahr weiterer Austritte von Abgeordneten wird reduziert, weil das wichtigste gemeinsame Anliegen der Abtrünnigen das zweite Referendum war. Nach der Ablehnung der Kompromissvorschläge von Corbyn zum Brexit kann die Regierung ein weiteres Mal als Blockierer und Hasardeur dargestellt werden, die es auf einen No-Deal-Brexit ankommen lässt. Intern versöhnt man einen Großteil der Labourbasis wieder mit ihrer Führung, da ein überwältigend hoher Anteil der Mitglieder für en Referendum und einen Verbleib in der EU sind.

Ein schaler Nachgeschmack bleibt. Der Schwenk von Corbyn erfolgte nicht freiwillig. Halb zog es ihn, halb sank er hin. Die Abspaltung von Labour, die vehementen Stimmen gerade der neuen Mitglieder für einen Verbleib in der EU und der Wegfall der Option von Neuwahlen waren wohl die Gründe.

Setzen sich No-Deal-Hardliner durch?

Das bedeutet aber, dass Labours Position zumindest an der Spitze nicht von der Überzeugung getragen wird, dass ein Ratifizierungsreferendum und ein Verbleib in der EU die richtige Lösung für die Brexitsaga sind. Eine Fortsetzung der eher halbherzigen Opposition gegen den Brexit der Tories kann aber dazu führen, dass es den Hardlinern schlussendlich gelingt sich durchzusetzen und einen harten Brexit ohne Abkommen zu bekommen. Dann darf das ganze Land die Suppe auslöffeln.

 

 

Autor*in
Christos Katsioulis

leitet das Regionalbüro für Zusammenarbeit und Frieden der Friedrich-Ebert-Stiftung in Wien. Zuvor leitete er die Büros der FES in London, Athen und Brüssel.

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