Warum Labour bei den Neuwahlen in Großbritannien ein Drama droht
Mehrfach erteilte Theresa May einer Neuwahl des Unterhauses eine Absage. Woher der Sinneswandel? Weder geht es ihr um ein demokratisches Mandat für die Brexit-Verhandlungen, noch bläst ihr im Parlament der Wind ins Gesicht. May lässt wählen, weil der Moment für sie günstig ist. Der reguläre Wahltermin 2020, ein Jahr nach dem Austritt aus der EU, bietet Brexit-bedingt düsterere wirtschaftliche Aussichten als die aktuelle Lage. Auch entscheidet die Staatsanwaltschaft nächsten Monat, ob sie gegen bis zu 20 Mitglieder aus Mays Fraktion Anklage wegen irregulärer Ausgaben im Wahlkampf 2015 erhebt, so dass der Premierministerin der Verlust ihrer Parlamentsmehrheit droht. Vor allem ist die Opposition schwach wie nie, die Lage von Labour dramatisch wie zuletzt 1983.
Labours Ja zum harten Brexit
2016 waren Labours Aussichten noch wesentlich besser, May aus dem Amt zu vertreiben. Auch nach Corbyns Wiederwahl als Labour-Vorsitzender deutete vieles darauf hin, dass der Umfragevorsprung der Konservativen vor allem auf internen Streitigkeiten bei Labour beruhte. Seit Corbyn jedoch ohne Not den Tories im Unterhaus einen Freibrief erteilte, in Brüssel den harten Brexit durchzuboxen, hat er sich selbst überflüssig gemacht – seine eigenen Werte sowie die von Labour befinden sich im freien Fall.
Labour liegt, je nach Umfrage, um bis zu 24 Prozentpunkte hinter den Konservativen. Corbyns eigene Zustimmungswerte sind selbst unter Labourwählern desaströs. Er stößt laut einer aktuellen Umfrage bei den Labour-Anhängern auf 51 Prozent Ablehnung. In der Gesamtwählerschaft lehnen ihn 62 Prozent ab. Corbyns Werte entsprechen damit, 17 Monate nach seiner erstmaligen Wahl zum Vorsitzenden, jenen des historisch erfolglosen Michael Foot zum gleichen Zeitpunkt in dessen Amtszeit. Foot, wie Corbyn ein Vertreter des linken Flügels, verlor 1983 die Wahl gegen Margaret Thatcher krachend. Das ist ein bis heute in die politische DNA der Labour Party eingebranntes Trauma.
Proeuropäer kehren Labour den Rücken
Die politische Zuspitzung links und rechts stellt dabei nicht unbedingt das Problem dar. May ist so rechts wie Corbyn links ist. Wahrnehmbare Unterschiede zwischen Parteien und Kandidaten sind zunächst einmal ein vielfach empfohlenes Mittel gegen Politikverdrossenheit. May ist eine rechte Hardlinerin wie Thatcher es war, und aus weiten Teilen ihrer Partei, v.a. aus der Provinz, dringen dumpf-nationalistische, rechte Töne. Die Medien leisten dabei nach Kräften Unterstützung, und sie trugen ihren Teil dazu bei, Corbyn das Label „unwählbar“ von Beginn an anzuheften.
Corbyn hat aber mit seinem Ausverkauf beim Brexit seine mehrheitlich proeuropäische Unterstützerbasis verraten. Das geschah ohne Not: Laut einer Umfrage aus dem vorherigen Monat hatten gerade einmal 14 Prozent derjenigen, die letztes Jahr für den Austritt aus der EU stimmten, die Absicht, Labour zu wählen. 2/3 der Labourwähler hingegen stimmten für den Verbleib des Landes in der EU. Corbyn hätte also, auch unter Berufung auf einen Parteitagsbeschluss, einen harten Brexit schlicht ablehnen und damit Glaubwürdigkeit herstellen können – die eigene sowie die seiner Partei.
Corbyn will Kurskorrektur verhindern
Man mag einwenden, dass umfragebasierte Zahlenspiele seit dem vorigen Jahr nichts mehr gelten. Seit September vorigen Jahres hat Labour jedoch auch vier von fünf Nachwahlen verloren, und dabei einen zuvor von Labour gehaltenen Wahlkreis an die amtierende Regierung verloren.
Corbyn und seine Unterstützer laufen sich derweil schon mal warm, um auch nach der erwarteten Wahlniederlage die Kontrolle über die Partei zu behalten. Die Genossen nähren damit den Verdacht, dass ihnen die reine Lehre mehr bedeutet als das Land.
ist Mitglied der Labour-Party sowie der SPD und aktiv im Ortsverein Ludwigsburg (Baden-Württemberg).