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Warum Künstliche Intelligenz dem SPD-Abgeordneten eine Rede schrieb

Es fiel niemandem auf: Der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken hat sich eine Parlamentsrede von einer Künstlichen Intelligenz schreiben lassen. Es war die erste, die im Europaparlament gehalten wurde. Die Aktion hat einen ernsten Hintergrund.
von Kai Doering · 16. Februar 2023
Es ging nicht darum, der erste zu sein: Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken hat sich eine Rede von Künstlicher Intelligenz schreiben lassen.
Es ging nicht darum, der erste zu sein: Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken hat sich eine Rede von Künstlicher Intelligenz schreiben lassen.

Die Rede war kurz und dauerte gerade mal eine Minute. Trotzdem dürfte sie in die Geschichte eingehen. Denn als der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken Anfang Februar im Europaparlament das Wort an seine Kolleg*innen richtete, hatte er die Rede nicht selbst geschrieben. Sie stammte stattdessen von „ChatGPT“, einem Chat-Bot, der seit November letzten Jahres kostenfrei im Internet genutzt werden kann. Es war die erste Rede im Europaparlament, die von einer Künstlichen Intelligenz (KI) verfasst worden war.

Künstliche Intelligenz kann diskriminieren

„Es ging mir aber nicht darum, der erste zu sein“, sagt Wölken ein paar Tage später im Gespräch mit dem „vorwärts“. Vielmehr habe er darauf hinweisen wollen, welche Gefahren von unregulierter Künstlicher Intelligenz ausgehen können. Denn dass die Rede nicht von ihm selbst stammte, sondern von einer Künstlichen Intelligenz, wäre wohl niemandem aufgefallen, hätte Wölken sich nicht am Ende seiner Rede bei „ChatGPT“ bedankt. Tiemo Wölken hält das für problematisch. „Die KI ist quasi unsichtbar, macht aber Fehler“, sagt der Europaabgeordnete.

In seiner kurzen Rede – es ging passenderweise um die Regulierung politischer Werbung im Internet – fiel das nicht ins Gewicht, doch in der Vergangenheit waren Dienste wie „ChatGPT“ schon durch Falschinformationen aufgefallen, etwa bei Äußerungen zum Krieg in der Ukraine. „Je nach Datengrundlage kann der Text einer KI Menschen diskriminieren, Rassismus schüren oder Propaganda verbreiten“, mahnt Tiemo Wölken. Das Besondere an Diensten wie „ChatGPT“ ist, dass sie bei jeder Eingabe von Nutzer*innen lernen. Dadurch können sie jedoch auch anfällig für Manipulation sein.

Es fehlt an Transparenz

Wie unterschiedlich die Aussagen sein können, merkte Tiemo Wölken auch selbst: Bevor er seine Rede hielt, ließ er sie sich einmal aus Sicht eines sozialdemokratischen und einmal aus Sicht eines christdemokratischen Abgeordneten schreiben. „Bei der christdemokratischen Version standen vor allem Sicherheitsfragen im Vordergrund“, berichtet Wölken. In der Rede, die er schließlich im Parlament hielt, ging es dagegen vor allem um die freie Meinungsäußerung als wichtiger Teil der Demokratie.

Wie die Künstliche Intelligenz dabei zu ihren Einschätzungen kommt, wird der Nutzerin bzw. dem Nutzer dabei nicht vermittelt. „Es fehlt an Transparenz“, kritisiert Tiemo Wölken. „KI wird sich für das Schreiben politischer Reden nicht durchsetzen“, ist der Abgeordnete deshalb überzeugt. Als „Sparringspartnerin“ für das Testen von Argumenten könne sie dagegen durchaus hilfreich sein.

Künstliche Intelligenz braucht Regulierung

Generell hält Tiemo Wölken den Einsatz von Künstlicher Intelligenz für sinnvoll. „Sie kann in vielen Bereichen unser Leben verbessern“, ist der Abgeordnete überzeugt. Wichtig sei dabei aber die Garantie von Transparenz, wie Entscheidungen zustanden kämen und dass bestimmte Bereiche ausgespart würden. „Bei der Vergabe von Sozialleistungen beispielsweise hat autonome KI nichts zu suchen“, sagt Wölken.

Zurzeit arbeitet das Europaparlament an einer Verordnung zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in der EU. Der Dienst „ChatGPT“ ist darin bisher nicht vorgesehen. Schließlich kam er erst Ende November vergangenen Jahres auf den Markt. Für Wölken zeigt das ein Problem technischer Entwicklungen. „Was machen wir mit der fertigen Verordnung, wenn wieder eine neue Erfindung gemacht wird?“ Hier brauche es genug Flexibilität, damit Neuentwicklungen gleich mit geregelt würden. Für Wölken ist klar: „Es sollte keine KI unreguliert auf den europäischen Markt kommen.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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