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Warum junge Wähler das Brexit-Referendum entscheiden könnten

Junge Wähler könnten beim britischen EU-Referendum am 23. Juni entscheidend sein – wenn sie sich für die Wahl registrieren und dann auch tatsächlich wählen gehen. Insbesondere das „Remain“-Lager wirbt nun intensiv um die junge Wählerschaft.
von · 31. Mai 2016

Verzweifelte Zeiten rufen nach verzweifelten Maßnahmen. David Cameron muss sehr verzweifelt sein, denn der britische Premier ist kürzlich Tinder beigetreten. Ja, Tinder: Die mobile Dating-App, bei der ein Wisch nach Links oder Rechts entscheidet, ob es zu einem Kennenlernen kommt. Natürlich geht es Cameron nicht um Dates oder neue Bekanntschaften. Nein, er will junge Britinnen und Briten erreichen – und sie davon überzeugen, beim Referendum am 23. Juni gegen den Brexit zu stimmen.

Brexit: Buhlen um die jungen Wähler

Aber nicht nur Cameron und sein „Remain“-Lager werben um die junge Wählerschaft, sondern auch die Brexit-Befürworter. Dabei haben sie eben diese junge Wählerschaft während der nun schon Monate dauernden Debatte über das Für und Wider eines Brexits lange vernachlässigt. Statt um Inhalte ging es oft nur um schlichte Panikmache – auf beiden Seiten. Worum es nicht ging, war, junge Menschen überhaupt als Wählergruppe anzuerkennen und ernstzunehmen.

Die Kehrtwende kam im April. Da veröffentlichte der Observer eine Umfrage, die zeigte, dass die Entscheidung über den Brexit von der Mobilisierung junger Wähler abhängen könnte.

Niedrige Wahlbeteiligung bei jungen Menschen

Junge Menschen in Großbritannien sind pro-europäischer. Laut Umfrage unterstützen in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen 53 Prozent den Verbleib Großbritanniens in der EU; nur 29 Prozent sprechen sich dagegen aus. Das Problem ist aber: Bei jungen Menschen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht wählen gehen, am höchsten. Nur 52 Prozent sagten in der Umfrage, sie würden sicher wählen gehen – in der Gruppe der Wähler über 55 Jahre sind es 81 Prozent.

Gleichzeitig sind ältere Wählergruppen EU-skeptischer als jüngere, laut Umfrage wollen 54 Prozent der über 55-Jährigen für den Brexit stimmen. Entscheidend wird also sein, wie viele junge Menschen beim Referendum ihre Stimmen abgeben.

Knapper Ausgang erwartet

Seit das feststeht, ist die Mobilisierung der jungen Wählerschaft in vollem Gange. Denn laut neuesten Umfragen wird es beim Referendum wahrscheinlich einen knappen Ausgang geben: Laut Daily Telegraph sind 51 Prozent der Briten für, 46 Prozent gegen den Verblieb in der EU. 

Der ehemalige Labour-Chef Ed Miliband rief junge Briten dazu auf, sich bis zum 7. Juni zu registrieren – die Deadline, um beim Referendum abstimmen zu können. Zwar sind bereits im britischen Wahlverzeichnis registrierte Personen automatisch zur Wahl berechtigt, auf viele Neu- und Erstwähler trifft das aber nicht zu. Miliband sagte: „Eine Entscheidung, nicht zu wählen, ist eine Entscheidung dafür, jemand anderen über deine Zukunft entscheiden zu lassen.“

Für junge Menschen hängt vom Referendum viel ab

Auch Bildungsministerin Nicky Morgan von den Tories schloss sich dem an. Sie warnte davor, der Brexit berge das Risiko einer „verlorenen Generation“. Sie rief junge Menschen dazu auf, andere zu überzeugen, „besonders eure älteren Freunde und Verwandten. Stellt sicher, dass sie wissen, was die Wahl für euch bedeutet.“ Und was bedeutet die Wahl? Morgan ist sich sicher: „Wenn Großbritannien Europa verlässt, werden es die jungen Leute sein, die am meisten leiden, die in der Schwebe gelassen werden, während wir uns darum bemühen, ein alternatives Modell zu finden und dann zu verhandeln.“

Tatsächlich hängt für junge Menschen in Großbritannien von dem Referendum eine Menge ab. Sie sind an die europäische Reisefreiheit und Mobilität gewöhnt sowie an das Erasmus-Programm, welches jedes Jahr tausenden britischen Studierenden einen Aufenthalt an einer ausländischen Universität ermöglicht. Britische Universitäten erhalten von der EU Förderungen in Milliardenhöhe; generell ist die britische Wissenschaft stark abhängig von der EU, sowohl was Finanzierung als auch was internationale Kooperation betrifft.

Der Brexit würde viele Jobs im Bereich der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik bedrohen – Jobs, die für die wirtschaftliche Zukunft der jüngeren Generation wesentlich sind. Laut britischem Finanzministerium könnten bis zu 3 Millionen Jobs in Großbritannien im Zusammenhang mit europäischem Handel stehen. Durch einen Brexit würden viele davon wegfallen – die Jugendarbeitslosenrate beträgt auch so schon 13,7 Prozent. In der EU zu bleiben, ist für viele junge Briten also „common sense“, gesunder Menschenverstand. Für andere gehört es schlicht zu ihrer Identität, europäisch zu sein.

Ungünstiger Zeitpunkt für das Referendum

Es bleibt abzuwarten, wie groß die Mobilisierung unter den jungen Wählern am 23. Juni sein wird. Fest steht aber schon jetzt: Der Zeitpunkt des Referendums könnte kaum ungünstiger gewählt sein. Mitten im Sommer, wenn Semesterferien sind und viele junge Wähler im Urlaub.

Oder auf eines der vielen Festivals gehen, darunter auch das berühmte Glastonbury Festival, bei dem sich jährlich 170.000 Besucher tummeln – und das findet dieses Jahr am 23. Juni statt. Die Veranstalter haben bereits per Twitter verkündet, dass es auf dem Festivalgelände keine Möglichkeit zum Wählen gebe. Festivalbesucher sollten sich deswegen vorher für die Briefwahl anmelden. 

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