International

Warum hunderttausende Flüchtlinge ihr Leben riskieren

Die Fahrt über das Mittelmeer kann tödlich enden, das Verharren in der Heimat ebenso: Hunderttausende fliehen vor den Bürgerkriegen in Syrien, Afghanistan und Somalia, vor der Militärherrschaft in Eritrea. Ein Überblick über die Lebenssituation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge.
von Sarah Schönewolf · 21. April 2015
Auf der Flucht vor dem Terror: Syrische Flüchtlinge Libanon
Auf der Flucht vor dem Terror: Syrische Flüchtlinge Libanon

Syrien

330 000 Tote, eine Million Verletzte, mehr als 11,6 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist die Bilanz des syrischen Bürgerkriegs im fünften Jahr. Was als friedlicher Protest gegen das Regime von Baschar al-Assad im März 2011 begann, hat sich mittlerweile nach UN-Angaben zur schlimmsten Flüchtlingskatastrophe seit dem Völkermord in Ruanda entwickelt. Große Teile des Landes sind zerstört, die Städte Aleppo und Homs existieren fast nicht mehr, das Flüchtlingslager Jarmuk in Damaskus ist nach Aussage des Uno-Generalsekretärs Ban Ki Moon die „schlimmste Hölle“. Große Teile der syrischen Bevölkerung sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO derzeit nicht erreichbar für eine medizinische Grundversorgung. Impfstoffe fehlen und der Zugang zu ausreichend Trinkwasser ist nicht in allen Landesteilen gesichert.
 
Der Konflikt zwischen den Regierungstruppen und verschiedenen bewaffneten Gruppen ist unübersichtlich. Kämpfer des Islamischen Staats (IS) kontrollieren mittlerweile ein Drittel des Landes und begehen nach Angaben von Amnesty International Kriegsverbrechen und schwerwiegende Menschenrechtsverstöße, ebenso wie die mit al-Qaida verbündete dschihadistische Al-Nusra-Front, die als drittstärkste Kraft im Bürgerkrieg gilt.
 
Eine politische Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Nach Ansicht von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kann es eine wirkliche Lösung nur auf politischem Wege geben. „Ein Ende der Gewalt und eine Rückkehr der Flüchtlinge wird erst möglich sein, wenn sich das syrische Regime endlich ernsthaft auf einen Verhandlungsprozess für eine friedliche Lösung einlässt“, so Steinmeier. Erschwerend hinzu kommt, dass sowohl Russland als auch der Iran das Assad-Regime unterstützen. Jüngste Meldungen über eine russische Militärpräsenz in Syrien sorgen ebenfalls für Verunsicherung.

Afghanistan

Auch nach dem Ende des dreizehnjährigen Kampfeinsatzes der Internationalen Schutztruppe ISAF Ende 2014 kommt Afghanistan nicht zur Ruhe. Nach Angaben der Vereinten Nationen war die Zahl der Zivilpersonen, die im Zuge des Konflikts getötet wurden, im vergangenen Jahr so hoch wie nie zuvor. Allein im ersten Halbjahr 2014 wurden laut Amnesty International mehr als 1.500 Zivilpersonen getötet und mehr als 3.000 verletzt. Für mehr als 70 Prozent der Fälle waren die Taliban und andere bewaffnete Aufständische verantwortlich. Diese sind seit dem Rückzug der westlichen Truppen wieder offensiver, auch Warlords und frühere Bürgerkriegsfraktionen gewinnen wieder an Bedeutung.

Medienberichten zufolge haben sich Kämpfer der Taliban  dem IS angeschlossen. Die Dschihadisten-Organisation hat sich zu einem Selbstmordanschlag mit mehr als 30 Toten und über hundert Verletzten Mitte April im Osten des Landes bekannt. In seinem Fortschrittsbericht 2014 bezeichnet das Auswärtige Amt  die Sicherheitslage in Afghanistan als weiterhin angespannt und in Teilen bedingt kontrollierbar bis gar nicht.

Neben der Sicherheitslage ist auch die wirtschaftliche Lage prekär. 2014 drohte dem Land mehrmals die Zahlungsunfähigkeit, was auch dem Abzug des westlichen Militärs geschuldet war. Vor allem Frauen und Mädchen leiden in Afghanistan unter Gewalt. Allein im ersten Halbjahr 2014 verzeichnete die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission 4154 Fälle von Gewalt gegen Frauen. Dies bedeutete einen Anstieg von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In der Folge des Konflikts zwischen Modernisierungsbefürwortern und religiösen Modernisierungsgegner, der sich durch die gesamte jüngere Geschichte Afghanistans zieht, sind mehr als 660.000 Afghanen innerhalb des Landes auf der Flucht und mehr als 2,7 Millionen sind ganz aus dem Land geflohen. Die Bundesregierung zeigt sich überzeugt, dass letztendlich nur ein innerafghanischer Friedens- und Versöhnungsprozess zu dauerhaftem Frieden im Land führen kann.

Somalia

Dürre, Hunger, Gewalt – die Menschen in Somalia leiden seit Jahren. In dem ostafrikanischen Land kämpfen seit den 90er Jahren verschiedene Warlords, Clans und Milizen um die Vorherrschaft. Die Hauptkonfliktlinie verläuft dabei zwischen den militanten Islamisten, deren stärkste Miliz die Terrorgruppe Al-Schabaab ist, und den jeweiligen Regierungen mit ihren Verbündeten.

Nachdem die Miliz, die zum al-Qaida-Netzwerk gehört, durch Militärinventionen der Afrikanischen Union aus städtischen Zentren zurückgedrängt werden konnte, tyrannisiert die Terrororganisation die Bevölkerung Somalias und Kenias mit Anschlägen. Al-Schabaab gilt als Drahtzieher hinter dem Massaker an 148 kenianischen Studenten auf dem Universitätsgelände von Garissa am 2. April dieses Jahres. Am Montag bekannte sich die Miliz, die auch Kinder als Kämpfer rekrutieren soll, zu einem Anschlag auf Mitarbeiter des UN-Kinderhilfswerks in Mogadischu. Die blutigen Anschläge gegen internationale Hilfskräfte haben dafür gesorgt, dass sich Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen zum Schutz ihrer Mitarbeiter aus Somalia zurückgezogen haben.

 

Die Sicherheitslage im Land ist weiterhin schlecht. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Somalia liegt nach Schätzungen der Weltbank bei weniger als 55 Jahren. In den vergangenen Jahren kämpfte das Land am Horn von Afrika immer wieder mit Hungersnöten, deren Ursache wohl auch im Klimawandel liegt. Allein zwischen Oktober 2010 und April 2012 seien nach Angaben der Vereinten Nationen rund 260.000 Menschen verhungert – die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren. Die NGOs Human Rights Watch und Amnesty International berichtet von zunehmender Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen. Von den etwa zehn Millionen Somalis sind 2,5 Millionen auf der Flucht, mehr als 350.000 leben in Kenia, im weltgrößten Flüchtlingslager Dadaab. Die kenianische Regierung droht derzeit damit, das Lager als Konsequenz auf den Terrorangriff auf die kenianischen Studenten zu schließen. Hilfsorganisationen warnen vor diesem Schritt.

Eine internationale Lösung des Somalia-Konflikts gestaltet sich schwierig. Auf die Ausbreitung der somalischen Piraterie reagierte die internationale Gemeinschaft ab 2008 hauptsächlich mit militärischen Maßnahmen. Die Bundeswehr unterstützt eine EU-geführte Mission zur Stabilisierung des Landes am Horn von Afrika durch die Ausbildung von somalischen Streitkräften. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat im Zuge seiner Afrika-Reise im Februar betont, dass „african ownership“ gestärkt werden müsse, also die Bereitschaft, sich Entwicklungen auf dem Kontinent zu stellen und selbst Verantwortung zu übernehmen.
 

Eritrea

Nachdem ein Putschversuch aus dem Jahr 2013 das Land ins Chaos gestürzt hatte, herrschen Willkür und Militärherrschaft. Tausende Menschen sitzen aus unterschiedlichsten Gründen in Gefängnissen, ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren. Darunter befinden sich neben Regime-Kritikern auch viele, die sich dem für alle Eritreer zur Pflicht erklärten Militärdienst entziehen wollten. Es gibt Berichte von Folter und Ermordungen.

Aktuell sind in Europa rund 360000 Flüchtlinge aus Eritrea registriert, täglich verlassen Menschen das Land und machen sich auf die lebensgefährliche Reise Richtung Norden. Zuletzt war das Regime in Eritrea durch den UN-Menschenrechtsrat scharf attackiert worden. Dieser wirft ihm „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor.

 

 

Autor*in
Sarah Schönewolf
Sarah Schönewolf

ist Diplom-Politologin und Redakteurin des vorwärts.

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