Warum Frauen bei der Bekämpfung von Fluchtursachen wichtig sind
Thomas Koehler/photothek.net
Solidarität mit Flüchtlingen ist weit verbreitet. Das zeigt ein Vormittag in Hamburg, zu dem der „Marie-Schlei-Verein“ und das „Eine Welt Netzwerk Hamburg“ ins Ohnsorg Theater eingeladen hatte. Der Vorhang geht auf und eine Frau mit leuchtend roten Haaren betritt die ansonsten leere Bühne. Applaus für Christa Randzio-Plath. Zusammen mit dem Marie-Schlei-Verein und dem Verein „Eine Welt Netzwerk Hamburg“ hat sie in das Ohnsorg Theater eingeladen. Der Saal ist voll. „Wider die Hoffnungslosigkeit. Fluchtursachen bekämpfen – Entwicklungszusammenarbeit und Frauen stärken“, lautet das Thema zu dem sich die Hamburgerinnen und Hamburger versammelt haben.
Solidarität mit den Flüchtlingen
„Wir sind in Solidarität verbunden mit den Flüchtlingen und denjenigen, die arm sind“, sagt Christa Randzio-Plath. Die ehemalige Europaabgeordnete ist Vorsitzende des Marie-Schlei-Vereins, der seit 1984 zusammen mit Partnerorganisationen Frauenausbildungsprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika fördert und in Erinnerung an die frühere Entwicklungshilfeministerin Marie Schlei gegründet wurde.
Randzio-Plath erinnert daran, dass 62 Personen auf der Welt soviel besitzen wie 3,5 Milliarden arme Menschen. Sie nennt es „zynisch“, dass Deutschland das erklärte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben immer noch nicht erreicht hat und gibt zu Bedenken: „Niemand verlässt seine Heimat freiwillig.“ Deshalb müsse dafür gesorgt werden, dass sich die Lebensverhältnisse verbessern, dass Produkte menschenwürdig hergestellt werden. „Flüchtlingshilfe ist ein Ausdruck von Humanität“, mahnt sie und endet mit einem Satz von Che Guevara: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“
Junge Leute betreten die Bühne. Sie tragen lange Mäntel, Mützen, über die Schulter geschlagene Beutel und vor die Brust gedrückte Koffer. Sie laufen im Kreis, stürzen, werden aufgefangen, sterben, werden beweint, ein Koffer fällt, die Habseligkeiten ergießen sich auf den Bühnenboden, werden wieder eingesammelt, eine Frau drückt ein gelbes Kinderkleidchen ans Gesicht. Zum Schluss stehen sie vorn am Bühnenrand, ein Koffer ist geöffnet, in ihm steht nur ein Wort: „HOPE“, Hoffnung. Verlust der Heimat, Trauer, Zärtlichkeit, Tod, all das haben die jungen Leute des Tanztheaters „Grazia“ aus Hamburg Bergedorf in wenigen Minuten auf den Punkt gebracht.
Politisches Statement mit Brötchen
„Das Tanztheater nimmt mich jedes Mal mit, wenn ich es sehe“, sagt Aydan Özoğuz, die als nächste die Bühne betritt. Das Theater zeige, was Menschen durchmachen, die auf der Flucht sind. Etwas, das wir hier in Deutschland nur allzu oft vergessen, so die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge. Sie erinnert an die ehemalige Funktion des Bieber-Hauses am Hamburger Hauptbahnhof, in dem heute das Ohnsorg-Theater untergebracht ist: Dort befand sich Hamburgs Ausländerbehörde.
Aydan Özoğuz verbindet mit dem Haus eigene Erlebnisse. Als Kind musste sie mit ihren Eltern hier regelmäßig Schlange stehen und „den Stempel abholen, dass wir hier sein dürfen“. Mit den Behördenmitarbeitern sei das nicht immer ein freundliches Miteinander gewesen, erinnert sie sich. Aydan Özoğuz erzählt von ihren Besuchen bei den Freiwilligen, die am Hauptbahnhof monatelang Flüchtlinge in Empfang nahmen, ihnen Kleidung, etwas zu Essen und zu Trinken gaben, als sie zu Hunderten dort eintrafen und zitiert einen Helfer: „Ich begrüße die Menschen mit Brötchen, das ist mein politisches Statement.“
Frauen und Kinder als Schwächste der Schwachen
„Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht , 40 Millionen davon im eigenen Land“, sagt Aydan Özoğuz. Insbesondere Frauen würden auf der Flucht oft massive Gewalt erleben, darüber aber fast nie sprechen können. „Wir sehen das oft nicht“, sagt die Staatsministerin und weist darauf hin, dass im Dezember/Januar erhöhte Zahlen von Frauen und Kindern auf den Flüchtlingsrouten unterwegs waren. „Es sind die Schwächsten der Schwachen, die jetzt kommen“, sagt sie und fügt hinzu, dass sie enttäuscht sei von Europa, wo „eine halbe Milliarde Menschen in Zank aufgehen wegen drei bis vier Millionen Flüchtlingen“. Aydan Özoğuz bekräftigt ihre Forderung nach einem Einwanderungsministerium, in dem die Fragen von Migration und Integration gebündelt werden sollen, die jetzt noch auf verschiedene Ministerien verteilt sind. „Wir werden noch viele Fluchtursachen erleben“, ist sie überzeugt.
Denn auch das ist klar. So schön die Forderung „Fluchtursachen bekämpfen“ klingt, so komplex ist ihre Umsetzung in der Realität. Der Marie-Schlei-Verein setzt dabei konsequent auf die Unterstützung von Frauen. Sie sind in vielen Ländern der Welt die Ernährerinnen. Wenn sie besser ausgebildet sind und Geld verdienen, helfe das ihren Familien und vor allem den Töchtern, selbstbewusster ihr Leben in die Hand zu nehmen, ist Christa Randzio-Plath überzeugt. Deshalb unterstütze der Marie-Schlei-Verein sie dabei, ihr Leben in die Hand zu nehmen.
Billige Zwiebeln aus Europa
Aber auch das ist zuweilen ein Kampf mit Windmühlenflügeln. Der Marie-Schlei-Verein hat Frauen in Afrika unterstützt, Gemüse herzustellen, damit sie es auf dem Markt verkaufen können. Dann trafen Lieferungen billiger Zwiebeln und Tomaten aus Europa ein und machen das Geschäft zunichte. Womit die Veranstaltung bei einer der Hauptursachen für Migration und Flucht angelangt ist. Die Wirtschaftsbeziehungen, bei denen die eine Hand Entwicklungshilfe gebe und mit der anderen das Fünffache wieder nehme, so Randzio-Plath. Kein Wunder also, wenn sich Männer nach Europa aufmachen, um dort Arbeit zu finden. Zurück bleiben Frauen und Kinder. Die Mädchen gehen nicht mehr zur Schule, weil sie ihren Müttern helfen müssen, die Familie zu ernähren, gab Portia Sarfo vom Vorstand „Eine Welt Netzwerk Hamburg“ zu bedenken.
Fluchtursachen bekämpfen ist auch in den Ländern nahezu unmöglich, in denen es kaum noch staatliche Strukturen gibt, in denen ein Brunnen, der heute gebaut wird, morgen vielleicht schon zerstört wird. Die Bemühungen um Frieden und Stabilität in der Welt sei die wichtigste aber auch die schwierigste Aufgabe, mahnt Aydan Özoğuz und fügt hinzu. Flüchtlinge werde es deshalb noch viele Jahre geben. „Egal ob die hier bleiben oder in ihre Länder wieder zurückkehren: Wir brauchen Bildung, Empowerment. Wir müssen die Frauen stärken, damit sie es an ihre Kinder weitergeben können.“