International

Warum Frankreich über eine Europafahne am Triumphbogen streitet

Am 1. Januar hat Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Zur Feier des Tages erstrahlte der Eiffelturm in blau und unter dem Triumphbogen wurde die Europafahne gehisst. Letzteres erzürnt die Rechte – aus einem bestimmten Grund.
von Kay Walter · 5. Januar 2022
Zankapfel im politischen Frankreich: Am Triumphbogen in Paris hängt eine Europafahne.
Zankapfel im politischen Frankreich: Am Triumphbogen in Paris hängt eine Europafahne.

„Honte, outrage“, Frevel, Beleidigung und Schande schäumen die Nationalisten, allen voran Marine Le Pen und Éric Zemmour. Die Tricolore im Triumphbogen durch die Europafahne auszutauschen sei eine unfassbare Provokation jedes „echten Franzosen“, ein „Angriff auf die Werte der Nation“, „ein Attentat auf die Identität unseres Vaterlandes, eine Beleidigung all derer, die für das Vaterland gestorben sind“.

Reaktionäre Reservistenverbände – dieselben, die Präsident Macron im vergangenen Sommer unverblümt mit Putsch gedroht hatten – stimmten ein, hätte es noch eines letzten Beweises bedurft, dass Macron nicht würdig sei Armee und Nation zu führen: Hier sei er.

Und auch die Präsidentschaftskandidatin der bürgerlich-konservativen Republicains Valérie Pécresse mochte da offensichtlich nicht zurückstehen und twitterte in der nämlichen Diktion, die Trikolore müsse wieder aufgezogen werden, denn „das schulden wir all unseren Kämpfern, die für sie ihr Blut vergossen haben“.„Europa vorstehen Ja, Frankreichs Identität verleugnen Niemals“, fügte sie noch hinzu.

Großer Aufruhr am Nationalsymbol

 Was soll das nationalistische Geklingel? Was ist da los?

Der Triumphbogen ist das nationale Symbol in Frankreich. Von Napoleon nach der Schlacht von Austerlitz in Auftrag gegeben, wurde er 1836 fertiggestellt. Seit 1920 befindet sich darunter die Ewige Flamme mit dem Grabmal des unbekannten Soldaten. Die Parade zum 14. Juli beginnt hier ebenso, wie die zum 11. November, dem Jahrestag des Waffenstillstands 1918. (Und selbstverständlich auch jede sonstige Jubelfeier, ob Silvesterparty oder Fußballweltmeisterschaft.)

Mehr noch: Seit über einhundert Jahren findet jeden Abend eine Gedenkzeremonie an der flamme du souvenir statt. Einen vergleichbaren Ort gibt es in Deutschland nicht. Der Triumphbogen auf der Place d’Étoile /Charles de Gaulle ist DAS Nationalsymbol.

Ambivalentes Verhältnis zur EU

Nationales Pathos ist also nachvollziehbar, weil dem Bauwerk immanent. Und doch möchte man fragen, gehts nicht vielleicht doch ein paar Nummern kleiner? Was bitteschön ist an der EU-Flagge zu kritisieren? Was am Bekunden der Freude darüber, die Geschicke der EU vorantreiben zu wollen? Gerade dann, wenn Frankreich turnusgemäß den Vorsitz der Staatengemeinschaft übernimmt.

Nun ist das Verhältnis vieler Französ*innen zu Europa durchaus ambivalent. Die Vorteile des Bündnisses – von Präsident Macron immer und immer wieder betont – nimmt man sehr gerne, aber auch unsere westlichen Nachbarn frönen nicht selten der Idee, alles Böse käme aus Brüssel. In Frankreich wie in Deutschland schüren Konservative nachdrücklich dieses Bild, das im Kern nichts anderes besagt als: Schuld sind immer die anderen.

In Deutschland findet eine gemeinsame Finanzpolitik exakt so lange Beifall, wie diese 1:1 deutschen Vorstellungen entspricht. In Frankreich gilt das nämliche für die Sicherheits- und Atompolitik. Beides ist aber in einem Staatenverbund nicht zu haben. Es gilt: entweder starke EU oder schwache Nationalstaaten. Noch zu Beginn der 70er Jahre hielt die kleine Bundesrepublik 25 Prozent der weltweiten Patente auf Know-how, heute kann das deutlich größere Deutschland sich im Kreis der Weltmächte nicht länger durchsetzen, zumindest nicht alleine.

Macron will alles auf den Prüfstand stellen

Emmanuel Macron hat ein extrem ambitioniertes Programm für die französische EU-Präsidentschaft vorgelegt. Allein 800 Treffen auf Minister*innenebene listet die Planung für die kommenden sechs Monate auf. Das ist in Wahrheit natürlich nicht zu bewerkstelligen. Ebensowenig wie das inhaltliche Programm, das die Papiere aus dem Élysée vorsehen.

Der deutsche Pragmatismus, sich keine unerreichbaren Ziele zu setzen, ist Macrons Sache nicht. Er will Europa von Grund auf modernisieren, ob es um Abstimmungsverhalten (Einstimmigkeitsprinzip versus Mehrheitsentscheidung) geht, ob um gemeinsame  Finanzregeln, ob um Migration und Schengen oder um Energiepolitik, unter dem Obertitel europäische Souveränität will Macron alles auf den Prüfstand stellen. Vieles davon ist unbestreitbar notwendig. Vieles deckt sich mit den Vorstellungen der Ampel, manches, wie das greenwashing der Atomenergie, sicher nicht. Aber ganz sicher ist das Programm so umfangreich, dass es in den sechs Monaten des französischen Ratsvorsitzes nicht einmal entfernt zu bewältigen ist.

Macron geht es darum, den Prozess anzustoßen – einerseits. Zweitens will er natürlich sich selbst als den großen Macher und Antreiber präsentieren. Und das nicht von ungefähr. Nicht nur entspricht es seinem Selbstbild, viel wichtiger: In Frankreich startet der Wahlkampf. Der/die nächste Präsident/in wird in zwei Wahlgängen schon Anfang April bestimmt. Und das tatsächlich zufällige Zusammentreffen gedenkt Macron weidlich auszunutzen. Er weiß natürlich um die Macht der Bilder. Jede Woche: Macron im Kreis der Staatenlenker*innen – und das in der Rolle des Anführers. Besser geht es kaum.

Kein Glanz für Macron

Zwar hat er noch immer nicht offiziell erklärt, tatsächlich erneut anzutreten, aber das offenbar mit dem Hintergedanken, dass es um so selbstverständlicher erscheint, dass er im Amt bleibt und sich nicht bloß zur Wahl stellt.

Und hier schließlich der Kreis. Genau dies befürchten Rechte wie Ultranationalisten. Macron in der Rolle des natürlichen Präsidenten, alternativlos sozusagen. Deshalb der Geifer, ob der europäischen Flagge im Arc de Triomphe. Der Appell an nationalistische Ressentiments soll nicht nur den Präsidenten in Misskredit bringen, sondern vor allem von ihm ablenken. Le Pen, Zemmour und auch Pécresse befürchten ansonsten im Wahlkampf mangels Präsenz unterzugehen. Belegen lässt sich dies ganz einfach: Als die Gelbwesten im Dezember 2018 am Triumphbogen randalierten, Feuer legten und mutwillig Schäden in Millionenhöhe erzeugten, hat man kein Wort des Protest vernommen, von keinem der drei.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare