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Warum europäische Mindestlöhne ein Erfolg der SPD sind

Seit Jahren setzt sich die SPD für klare europaweite Kriterien bei Mindestlöhnen ein. Darauf hat sich die EU nun geeinigt. Die SPD-Europaabgeordnete Gaby Bischoff erklärt, welche Folgen das hat.
von Vera Rosigkeit · 8. Juni 2022
Gute Nachricht für Paketzusteller*innen: Sie sind oft schlecht bezahlt, angemessene Mindestlöhne in der EU könnten das ändern.
Gute Nachricht für Paketzusteller*innen: Sie sind oft schlecht bezahlt, angemessene Mindestlöhne in der EU könnten das ändern.

Wie ist die Einschätzung der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament: Ist das eine überzeugende Regelung?

Die EU hat mit der vorläufigen Einigung über eine Richtlinie für europäische Mindestlöhne eine sozialpolitische Kehrtwende vollzogen. Armutsfeste Mindestlöhne waren seit Beginn unserer Amtszeit in 2019 ein Kernanliegen von uns Sozialdemokrat*innen im Europäischen Parlament. Jede*r zehnte Beschäftigte in der EU ist von Armut bedroht. Wenn man Teilzeit- und Zeitbeschäftigte einbezieht, ist sogar jede*r sechste arm trotz Arbeit.
Verkäufer*innen, Paketzusteller*innen oder Beschäftigte in der Pflege halten unsere Gesellschaft am Laufen, sind aber drastisch unterbezahlt. Viele arbeiten eine harte 40-Stunden-Woche, sind aber derzeit nicht in der Lage, die explodierenden Lebensmittel- und Energiepreise zu bezahlen. Es ist höchste Zeit, diesen Abwärtstrend umzukehren und Umverteilung von unten nach oben mit Vereinbarungen wie dieser Richtlinie zu bekämpfen.
Diese Einigung ist ein Erfolg für die Beschäftigten in Europa und für die Sozialdemokratie. Wir haben uns jahrzehntelang gemeinsam mit den Gewerkschaften für diese klare, europaweite Messlatte für angemessene Mindestlöhne eingesetzt. Der Kommissionsvorschlag war unsere Voraussetzung, um das Arbeitsprogramm dieser EU-Kommission zu unterstützen.

Auf welche Standards bei den Mindestlöhnen hat sich das Europaparlament geeinigt?

Der Lohn der Beschäftigten in der EU muss die Kosten für Essen, Miete und Heizung decken, aber auch ermöglichen, sich neue Kleidung zu leisten oder ab und zu Urlaub zu machen. Derzeit erfüllen 18 EU-Länder die Kriterien des EU-Parlaments dafür nicht.
Die EU-Länder sollen ihre Mindestlöhne künftig an internationalen Maßstäben messen: mindestens die Hälfte des jeweiligen durchschnittlichen Bruttolohns und 60 Prozent des Medianbruttolohns. Außerdem sollen Faktoren wie die Kaufkraft, die Lohnentwicklung und die langfristige Produktivitätsentwicklung in einem EU-Land miteinbezogen werden. Damit würden die Mindestlöhne für Millionen Arbeitnehmer*innen nach oben korrigiert.
Mindestlöhne auf diesem Niveau tragen zu einer gerechteren Gesellschaft und zur Stabilisierung der Wirtschaft in den aktuellen Krisenzeiten bei, da die Kaufkraft der Europäer*innen erhalten bleibt.

Wie soll die Richtlinie umgesetzt werden?

Die EU-Regierungen werden voraussichtlich am Donnerstag, den 16. Juni 2022, mit qualitativer Mehrheit über die politische Einigung entscheiden. Der Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments soll im Juni über die Richtlinie abstimmen und im September könnte die Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments folgen. Danach hätten die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in nationales Recht umzusetzen.
Der Rat hat während der Verhandlungen versucht, die Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten auf ein Minimum zu reduzieren. Statt einer Richtlinie, wollten einige EU-Staaten am Ende lieber unverbindliche Empfehlungen präsentieren. Es ist ein Erfolg des EU-Parlaments, dass jetzt über eine Richtlinie abgestimmt wird, die die Regierungen zum Handeln verpflichtet.

Die EU-Staaten sollen Aktionspläne vorlegen, um die Tarifbindung zu steigern. Welche Möglichkeiten gibt es? Was bedeutet in diesem Zusammenhang, „wenn die Quote unter 80 Prozent liegt“?

Es war richtig, die Tarifbindung in die Richtlinie für europäische Mindestlöhne einzubeziehen. Mindestlöhne sind ein wichtiges Hilfsmittel, aber gute Löhne und faire Arbeitsbedingungen werden durch Tarifverträge erreicht. Sollten in einem Mitgliedstaat weniger als 80 Prozent der Arbeitsverhältnisse unter den Geltungsbereich von Tarifverträgen fallen, sollen die Mitgliedstaaten künftig Aktionspläne entwerfen und umsetzen. Darin müssen sie konkrete Maßnahmen und einen Zeitplan nennen, um Tarifverhandlungen zu fördern.
Außerdem sollen Mitgliedstaaten zukünftig verpflichtet sein, präventiv zu handeln, wenn Arbeitnehmer*innen oder Gewerkschafter*innen von einem Arbeitgeber diskriminiert, unter Druck gesetzt oder bedroht werden.
Das Recht der Sozialpartner, Löhne auszuhandeln, zu überwachen und festzulegen, bleibt unangetastet. Kollektivverhandlungen sind Vorrecht der Gewerkschaften - das wird durch diese Richtlinie gestärkt. 

– Das Interview wurde schriftlich geführt –

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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