Warum die Wahl in Georgia für die US-Demokraten so wichtig ist
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Georgia! Seit November blicken die USA, Europa und selbst die Welt auf den als Land der Pfirsiche bekannten Bundesstaat der Vereinigten Staaten. Denn obwohl Joe Biden der gewählte Präsident ist, sind die Wahlen vom November 2020 noch nicht vorüber. Beide Georgia zustehenden Senatssitze bekamen im November nicht die nötige Mehrheit von mehr als 50 Prozent der Stimmen und in Georgia heißt das: Stichwahl!
Es ist die vorerst letzte Chance der Demokraten, eine knappe Mehrheit im US-Senat zu erreichen. Dann könnte Joe Biden sein ambitioniertes Regierungsprogramm mit parlamentarischer Rückendeckung beider Häuser des Kongresses angehen. Viel steht auf dem Spiel für Joe Biden, für die Demokraten, für die USA und nicht zuletzt für die Weltgemeinschaft. Diese beiden Senatssitze bestimmen die Kontrolle über den Senat für die ersten zwei Jahre der Biden-Administration. Sie werden einen entscheidenden Einfluss auf Bidens Fähigkeit haben, seine ambitionierte Agenda umzusetzen.
Hohe Wahlbeteiligung erwartet
Georgia wächst rasant, allein in den vergangenen zehn Jahren kamen eine Millionen Bürger*innen dazu. Vor allem die Vorstädte um Atlanta oder Savannah wachsen. Der Bevölkerungszustrom besteht sowohl aus Weißen, als auch aus Afroamerikaner*innen, Latinos und asiatischstämmigen Amerikaner*innen. Sie verändern das politische Gewebe Georgias und machen Wahlkämpfe, wo es oft nicht einmal Demokratische Gegenkandidaten gab, plötzlich auch für Demokraten interessant.
Georgia gehört zu den wenigen Bundesstaaten mit einem sehr hohen afroamerikanischen Bevölkerungsanteil, es sind 33 Prozent. Weitere zehn Proztn sind Latinos. Das ist einer der Gründe, warum die Wählermobilisierung besonders dieser Gruppen für die Demokraten so enorm wichtig ist. Insgesamt gibt es 10,5 Millionen Einwohner*innen in Georgia. Davon waren 7,5 Millionen bei der Wahl im November zur Wahl registriert. Ganze fünf Millionen gingen dann tatsächlich zur Wahl. Auch für die Stichwahl wird eine außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung erwartet, denn schon Anfang der letzten Woche hatten über 30 Prozent aller Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Plötzlich ein Swing State
Georgia war der einzige Staat, in dem 2020 beide Senatssitze zur Wahl standen. Die Demokraten Raphael Warnock und Jon Ossoff treten gegen die republikanischen Amtsinhaber Kelly Loeffler und David Perdue an. Aktuelle Daten von FiveThirtyEight platzieren Warnock und Perdue leicht vor ihren Gegnern. Allerdings könnten Ergebnisse knapp sein, d.h. alle Werte liegen sehr eng beieinander und damit in der normalen Fehlerspanne. Das Pendel schwingt also noch und erst am Abend werden wir das Ergebnis erfahren.
Dass Georgia plötzlich ein Swing State ist, kam eher überraschend. Georgia, wie alle Südstaaten, wurde bisher als zuverlässig konservativ eingestuft. Mit einer knappen 12.000 Stimmenmehrheit konnte Joe Biden das vollbringen, was zuletzt Bill Clinton als Präsidentschaftskandidat schaffte, Georgia für die Demokraten zu gewinnen, den Staat blau zu machen. Die demographischen Veränderungen des Landes – Zuwachs in den Vorstädten von jungen und vor allem nicht-weiße Menschen – könnten das Gesetz aus den Rudern heben, denn mit Raphael Warnock würde der erste Afroamerikaner für Georgia in den Senat einziehen.
Drei Millionen haben bereits gewählt
Angeführt von Stacey Abrams gab es speziell in Georgia in den vergangene drei oder vier Jahren Anstrengungen, die Wähler*innen mit interessanten, nicht-traditionellen Demokratischen Kandidat*innen zu mobilisieren, und gleichzeitig das Ansehen der Demokratischen Partei zu polieren. Da Georgia immer als „nicht gewinnbarer“ Bundesstaat galt, hat die Demokratische Partei hier auch nie eine wirkliche Mobilisierungskampagne etabliert. Stacy Abrams hat diese Lücke gefüllt.
Drei Millionen Wahlberechtigte haben seit dem 14. Dezember bereits ihr Recht wahrgenommen und ihre Stimme bei dieser Stichwahl abgegeben. Das Interesse und die Beteiligung an dieser Stichwahl ist enorm. Allerdings nicht nur auf Demokratischer Seite. Denn auch die Republikaner fürchten um ihre Senatsmehrheit und führen einen erbitterten Wahlkampf mit vielen Verbalschlägen, die meist erlogen und einer modernen Demokratie nicht würdig sind.
Warnock und Ossoff gegen Löffler und Perdue
Auf Demokratischer Seite konnten sowohl Warnock als auch Ossoff Rekordsummen einsammeln, um ihre Wahlkämpfe zu finanzieren. Statt nur in teure Fernsehwerbung investierten beide Kampagnen enorme Summen in die Wähler*innenmobilisierung per Telefon und Corona-sicher von Tür-zu-Tür.
Die Republikanischen Kandidaten Löffler und Perdue haben sich schon während des gesamten Wahlkampfs 2020 als loyale Trumpisten positioniert und gleichzeitig einen schmutzigen Wahlkampf gegenüber ihren Demokratischen Mitbewerbern geführt. Offensichtlich war die Kalkulation, die Trump-Unterstützer*innen in der Stichwahl nicht zu verlieren. Womöglich verprellen sie damit aber sowohl unabhängige Wähler*innen als auch Republikaner, die Trump nicht mehr mittragen wollen und schon am 3. November deshalb Joe Biden gewählt haben. Genau diese Wählergruppe könnte entscheidend sein.
Donald Trump wird zum Störfaktor
Es stellt sich aber heraus, dass Donald Trump für die Republikaner ein ständiger Störfaktor ist: Erst verunglimpft er den Gouverneur und Innenminister, weil sie ihm seine Wahlbetrugsphantasien nicht bestätigen wollten, was zu einer niedrigeren Wahlbeteiligung der Republikaner geführt haben könnte. Dann bringt er das Land zu Weihnachten zum wiederholten Male an den Abgrund einer Regierungskrise (Shotdowns), indem er gegen die vom Kongress verabschiedeten Corona-Hilfen sein Veto androhte. Und gerade am vergangenen Wochenende hat Trump noch einmal die republikanischen Innenminister am Telefon gedroht und ihn aufgefordert, die Stimmen zu finden, die ihm also Trump zum Wahlsieg verhelfen können.
Warum die Republikaner auf Trumps letztes Aufmurren nicht schärfer reagieren, ist fraglich, aber eines steht fest: Donald Trumps Vermächtnis ist eine zerrissene Republikanischen Partei. Das beweist auch der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, immer wieder. Seit fünf Jahren blockiert er fast sämtlicher Gesetzesvorlagen und peitscht erzkonservative Bundesrichter durch den Bestätigungsprozess. Aber mit seinem Nein zur Erhöhung der Einmalzahlungen an die Amerikaner hat er vielleicht auch einen Nerv in Georgia getroffen, der ihm am Ende das politische Genick brechen könnte.
Die politischen Kräfte verschieben sich
Bis die Wahllokale um 19 Uhr Ortszeit (1 Uhr nachts in Deutschland) schließen, wird es spannend bleiben. Zwar haben schon Millionen ihre Stimmen abgegeben, aber Georgia registriert seine Wähler nicht nach Partei, wie die meisten Bundesstaaten. Daher wissen wir auch von denen, die früh ihre Stimmen abgegeben haben nur, dass sie gewählt haben, nicht wie sie gewählt haben.
Die hohe Wahlbeteiligung spricht eigentlich für die Demokraten. Das gilt normalerweise und in vielen Bundesstaaten, doch wir leben nicht in normalen Zeiten. Denn wie wir gerade bei der Wahl im November 2020 gesehen haben, konnten auch die Republikaner ihre Zahlen in vielen wichtigen Wahlbezirken verbessern, was natürlich auch an der höchsten Wahlbeteiligung seit mehr als einem Jahrhundert lag.
Beachtlich an dieser Wahl ist, dass die Demokraten überhaupt eine realistische Chance haben, die beiden Senatssitze heute zu holen. Offensichtlich verschieben sich die politischen Kräfte in Georgia zu Gunsten der Demokraten, da sich die Zusammensetzung der Bevölkerung verändert hat, aber auch weil viele Leute überhaupt erstmals ihr Wahlrecht nutzen. Auch wenn es diesmal nicht klappen sollte, so wird sich auf jeden Fall in den kommenden Jahren hier noch vieles politisch bewegen. Es wird spannend!