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Warum die türkische Regierung gegen Wissenschaftler vorgeht

Am Freitag reist Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu mit seinem Kabinett zu Regierungskonsultationen nach Berlin. Menschenrechtler kritisieren die türkische Regierung für ihr Vorgehen gegen Intellektuelle, die eine Petition zum Kurdenkonflikt unterzeichnet hatten. Worum geht es dabei?
von Yaşar Aydın · 22. Januar 2016
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In türkischen Universitäten werden Hochschuldozenten eingeschüchtert, weil sie eine regierungskritische Petition unterzeichnet haben. An der Gazi Universität in Ankara schmierten ultranationalistische Studenten, die der MHP, Partei der Nationalistischen Bewegung nahe stehen, rote Kreuzchen an die Bürotüren von zwei Hochschuldozenten, die auch zu den Unterzeichnern gehören. Auf dem Blatt, das ebenfalls an die Tür angebracht worden ist, steht, „Wir wollen in unserer Universität keine Dozenten, die die PKK unterstützen“. Zu ähnlichen Vorfällen kam es auch in anderen Universitäten.

Anlass für die Hexenjagd ist eine Petition mit der Überschrift „Wir werden nicht Komplize dieses Vergehens sein“, die am 11. Januar mit 1128 Unterschriften aus der Türkei und 355 aus dem Ausland angekündigt wurde. Darin wird das Vorgehen der Streitkräfte in der Südosttürkei kritisiert. Dort sind mehrere Kleinstädte bzw. Stadtteile seit Wochen abgeriegelt und es herrscht Ausgangssperre. Der Grund hierfür ist der Versuch der PKK, „befreite Zonen“ zu errichten, um dort Autonomie durchzusetzen. Seit Wochen liefern sich dort die PKK-Militanten, die sich in Schützengräben und Häusern verschanzt haben, Schlachten mit den Sicherheitskräften. Wie ist es zu dieser Eskalation gekommen?

Vom Friedensprozess zur Eskalation der Gewalt

Die Friedens-Verhandlungen zwischen der AKP-Regierung und der PKK-Führung haben zu keinem Ergebnis geführt, weil die Lösungsvorstellungen der Konfliktparteien zu unterschiedlich waren und gegenseitiges Misstrauen und Interessengegensätze nicht überwunden werden konnten. Die Regierung strebte eine Lösung an, ohne die nationalstaatliche und unitäre Struktur des Staates und die territoriale Integrität des Landes anzutasten. Zudem hat sie, was sich als fatal erwiesen hat, die Lösung des Kurdenproblems an einem Systemwechsel (vom Parlamentarismus zum Präsidialsystem) gekoppelt. Statt die demokratischen Rechte der Kurden auszuweiten, hat die Regierung auf intransparente Verhandlungen mit Kurdenführer Öcalan gesetzt.

Die PKK-Führung wiederum hat die Verhandlungen als Vehikel benutz, um ihre Position aufzuwerten, Zeit zu gewinnen und sich aufzurüsten. Sie hat versucht, in Nordsyrien staatliche Strukturen aufzubauen, aus dem Imagegewinn im Kampf gegen den IS Kapital zu schlagen und die Türkei durch die Propaganda „AKP gleich IS“ im Westen zu diskreditieren.

Worum geht es in der Petition?

Seit der Bekanntgabe der regierungskritischen Petition reißen die Repressionen gegen die Unterzeichner nicht ab. So wurden gegen 109 Unterzeichner Ermittlungen eingeleitet, 15 Unterzeichner aus dem Dienst entlassen und 36 in Untersuchungshaft genommen. Trotz Einschüchterungsversuche von Seiten ultranationalistischer Gruppierungen, Universitätsverwaltung und politischer Entscheidungsträger ist die Zahl der Unterzeichner binnen weniger Tage auf mehr als 2200 gestiegen.

Die Unterzeichner bestehen auf ihrem Recht, auch unliebsame Meinungen kundzutun, und verweisen auf ihre Pflicht als Akademiker, soziale und politische Probleme anzusprechen und das Handeln der Entscheidungsträger zu kritisieren. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und Premier Ahmet Davutoğlu sehen das anders: Es könne nicht sein, dass Akademiker „sich hinter die Terrororganisation PKK stellen“. Es gebe kein einziges Land mit einem demokratischen Rechtsstaat, in dem Intellektuelle bewaffnete Gruppierungen und deren Gewalteinsatz „rechtfertigen würden“.

Petition enthält keinen Aufruf zur Gewalt

Es gibt aber auch viele links-liberale Akademiker, die die Petition nicht unterschrieben haben, obwohl sie mit der autoritären Politik der AKP-Regierung gegenüber den Kurden und Medien nicht einverstanden sind. Sie begründen ihre Haltung mit dem „einseitigen“ und „übertriebenen“ Duktus der Petition, in der von einem „vorsätzlichen Blutbad“ der Streitkräfte, einem „Massaker des türkischen Staates“ am „kurdischen Volk“ und an „anderen Völkern der Region“ die Rede ist. Der Staat müsse von seiner „Politik der beabsichtigten Vertreibung“ Abstand nehmen und eine Roadmap erstellen, welche die „Forderungen des kurdischen politischen Willens“ enthält, heißt es in der Petition.

Trotz dieser einseitigen Sprache und des Verzichts, die Gewalthandlungen der PKK deutlich zu kritisieren, enthält die Petition weder eine Rechtfertigung der Gewalt, noch einen Gewaltaufruf.

Autor*in
Yaşar Aydın

lehrt an der HafenCity Universität Hamburg.

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