Warum die Protestwelle der Franzosen so gefährlich für Macron ist
Natürlich kann man die Wette gewinnen, Emmanuel Macron werde die Europawahlen im kommenden Frühjahr noch als französischer Präsident erleben und obendrein das Wahlergebnis auch politisch überleben. Aber über eine gewisse Erfahrung als Hasardeur sollte schon verfügen, wer die Wette eingeht.
Die Wut der Demonstranten wächst
Das vierte landesweite Demo-Wochenende, genannt acte quatre, ist zwar deutlich ruhiger verlaufen als das vorherige - trotz 1700 Festnahmen und erneutem Millionenschaden in Paris und anderen Großstädten, es hat zum Glück auch weder Schwerverletzte noch gar wie befürchtet Tote gegeben: Aber der Druck auf den Präsidenten ist weiter gestiegen. Ebenso die Wut vieler Demonstranten.
Zweidrittel der Franzosen erklären, die Ausschreitungen ängstigten sie. Aber in der nämlichen Umfrage stellen sie sich mit 75 Prozent Mehrheit hinter die Forderungen der "Gelbwesten". Denn es geht um Gerechtigkeit. Die Wut der Menschen stützt sich vor allem darauf, nicht länger hinnehmen zu wollen, dass die “Pariser Bürokratie” für ein Abendessen den Gegenwert eines Wochenlohns ausgibt, während gleichzeitig die Verbrauchssteuern steigen und die Vermögenssteurer gestrichen wird.
Demonstranten forden: „Macron muss weg!“
Macrons will die französische Wirtschaft ankurbeln. Das ist richtig. Aber seine Politik hat unverkennbar soziale Schieflage. Deshalb sinkt sein Stern. Und das sehr schnell. Vor allem auch, weil der Präsident selbst bislang geschwiegen hat. Er mag das für taktisch klug halten, eine Mehrheit der Franzosen empfindet es als Unverschämtheit.
Kleine Zugeständnisse wie die Aussetzung der Ökosteuer für ein Jahr, verkündet lediglich von einem Regierungssprecher, helfen da nicht mehr. Das haben die "Gelbwesten" in Bausch und Bogen zurückgewiesen: “Wir wollen keine Krümel, wir wollen das ganze Baguette”, heißt es. Es geht längst um viel, viel mehr. Um genau zu sein: es geht um die Macht. Die Demonstranten skandieren: “Macron muss weg”. Und sie meinen auch exakt das. Egal, ob es Bauern in der Bretagne, Handwerker aus den Vorstädten von Paris oder Lyon oder Schüler und Studenten in Marseille und Toulouse sind: Sie alle fordern den Rücktrit des Präsidenten.
Geht es dem Präsidenten wie Francois Hollande?
Und sie glauben auch, das erreichen zu können, obwohl das in der französischen Verfassung so nicht vorgesehen ist. Obwohl Macron mit 2/3-Mehrheit ins Amt gewählt wurde und seine Partei im Parlament über eine satte absolute Mehrheit verfügt. Denn obwohl die Fünfte Republik dem Präsidenten eine Machtfülle gibt, wie sie weder Trump noch Putin haben, Macron wird nicht einsam und verachtet enden wollen, wie sein Vorgänger Francois Hollande, weil er gegen die eigene Bevölkerung regiert.
Die Folgen sind jetzt schon absehbar: Erstens wird Macron in seiner heutigen Rede deutlich auf die Menschen zugehen müssen. Er wird dabei konkrete Maßnahmen vorschlagen müssen, die eine sozial(demokratisch)e Handschrift erkennen lassen.
Regierungschef wohl nicht zu halten
Premierminister Édouard Philippe und Innenminister Christophe Castaner sind nicht zu halten. Sie werden in den nächsten Wochen entlassen werden. Und das, obwohl Macrons Partei En Marche nicht einmal ansatzweise gleichwertigen Ersatz für die beiden Politiker hat.
Die klugen Europapolitischen Ideen Macrons sind Makulatur, hinfällig. Er hat keine Partner, sie umzusetzten und er verliert an Strahlkraft und an Macht. Die Mehrheit der Franzosen ist nicht so europafreundlich, wie es nach Macrons Wahl zu seien schien. Im Gegenteil Rechte und Linke polemisieren gegen Brüssel. Die Sozialdemokraten von Olivier Faure wollen gemeinsam mit den Kommunisten und den Linksradikalen von Jean-Luc Mélonchon ein Mistrauensvotum gegen Macron einbringen. Es stört sie offenbar nicht, damit die Sache von Marine Le Pen zu betreiben.
Die Rechtsextremen reiben sich die Hände
Die Ultrarechten höhnen: in Frankreich und in Europa. Marine Le Pen wird die Europawahl im Frühjahr zur Abstimmung über Macrons Politik insgesamt erklären. Und bei den Europawahlen erzielen sie und ihre Partei traditionell die besten Ergebnisse.
Macron wird heute inhaltlich und im Ton einen Befreiungsschlag liefern müssen. Sonst wird ihm so gehen, wie seinen Vorgängern: Er wird seine Reformagenda in Teilen zurücknehmen müssen. Oder er wird selber gegangen.