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Warum die französische Wahl über die Werte Europas entscheidet

Am Sonntag haben die Franzosen die Wahl: Le Pen oder Macron? Unser Gastautor Yannick Regh hat die deutsche und die französische Staatsbürgerschaft. Sein ganz persönlicher Blick auf die Präsidentschaftswahl: Er sieht Frankreich und die EU am Scheideweg.
von Yannick Regh · 5. Mai 2017
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Mein Name ist Yannick Jean-Michel Regh. Ich bin der Sohn einer deutschen Mutter und eines deutsch-französischen Vaters. Ich bin Deutscher und ich bin Franzose. Mein deutscher Großvater und meine französische Großmutter haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg kennengelernt und geheiratet – in einer Zeit, in der die Zukunft Europas alles andere als sicher war. Deutschland und Frankreich fingen gerade erst an, die Erbfeindschaft politisch überwinden zu wollen. Die deutsch-französische Freundschaft, der Motor der Europäischen Union, wuchs politisch langsam. Aber nicht unbedingt in den Köpfen und Herzen der Menschen.

Franzosen zuerst: Le Pen will den FREXIT

Meine Großmutter ist in Lothringen geboren und aufgewachsen. Einer Region, die besonders im Ersten Weltkrieg umkämpft war und deshalb in Frankreich die „Rote Zone“ (Zone rouge) genannt wird. Ich lebe, weil meine Großeltern den einzelnen Menschen gesehen haben und sich nicht haben treiben lassen von Vorurteilen, von Hetze und von Hass.

2017 finden in Frankreich Präsidentschaftswahlen statt, wo Kandidaten versuchen Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religionen und unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten gegeneinander auszuspielen. Eine Kandidatin Marine Le Pen, die gegen das Establishment und selbst nur eine reiche Erbin eines verbitterten alten Rechtsradikalen ist. Eine Kandidatin am rechten Rand, die all denen, die aus ihrer Sicht die falschen Wurzeln haben, die französische Staatsbürgerschaft aberkennen will. Eine Kandidatin, die die schrecklichen Verbrechen der Kolonialzeit in Algerien mit Schulen und Straßen rechtfertigt. Eine Kandidatin, die die Deportation der französischen Juden allein den deutschen Nazis und gerade nicht ihren bereitwilligen französischen Kollaborateuren anlastet. Eine Kandidatin die den FREXIT will, die sagt Frankreich zuerst, die Franzosen zuerst, und wir müssten unsere Gesellschaft und vor allem unsere Werte vor den Anderen, dem Unbekannten schützen.

Die selbsternannten Bewahrer unserer Werte sind deren größte Feinde

Was die Europa-Gegner immer vorgeben bewahren zu wollen, nämlich unsere Werte und unsere Art zu Leben, schaffen sie gleichzeitig mit dem Austritt aus der Europäischen Union ab. Was bleibt übrig von der Europäischen Idee, wenn man uns die Völkerfreundschaft nimmt? Was bleibt übrig, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Religion als höher- oder minderwertig angesehen werden? Die selbsternannten Bewahrer unserer Werte sind deren größte Feinde. Sie nutzen die Unzufriedenheit in der Gesellschaft, um daraus Kapital zu schlagen. Von der extremen Rechten bis zur extremen Linken. Selbst der kommunistische Kandidat Jean-Luc Mélenchon wollte nach seiner Niederlage in der ersten Wahlrunde nicht zur Wahl des sozial-liberalen Emmanuel Macron aufrufen.

Dabei geht es um die Werte der Republik. Aber was genau sind diese Werte? Ich bin stolz Franzose zu sein, weil die republikanischen Werte meines zweiten Heimatlandes lauten: Liberté, Égalité, Fraternité! Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Dies sind dieselben Werte, die alle Länder der Europäischen Union teilen und darüber hinaus. Sie bilden die Basis, das Fundament für die Europäische Idee. Und sie gelten nicht für einige wenige Privilegierte, sondern sie gelten für alle Menschen, die hier leben. Und es ist an der Zeit sich politisch einzumischen, für jeden Einzelnen von uns, damit sie weiterhin für jeden gelten. Das ist Europa: Vielfalt, Respekt und Toleranz, eben gegenüber jenem Unbekannten. Deshalb versuchen auch so viele Menschen, die vor Krieg, Armut und Hunger fliehen, diesen Kontinent zu erreichen, um hier ein genauso freies Leben in Wohlstand führen zu können, wie wir es bereits tun. Dass dieses Europa die Hoffnung für so viele Menschen dieser Welt ist, zeigt uns doch gerade, was wir an der Europäischen Union haben, was wir an der deutsch-französischen Versöhnung und Freundschaft haben. Das alles verdanken wir, verdanke ich, jenen, die den einzelnen Menschen gesehen haben, die Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern Vielfalt als Stärke begreifen. Wie vor knapp 65 Jahren meine Großeltern.

Deshalb wähle ich Macron. Er setzt auf Hoffnung, Respekt und Toleranz. Hoffnung auf ein besseres, auf ein wirtschaftlich starkes und gerechtes Frankreich in Europa. Respekt für den Beitrag jedes Einzelnen zur Gesellschaft. Toleranz für die Unterschiede der Menschen.

Autor*in
Yannick Regh

ist Mitglied der SPD und Abgeordneter der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte.

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