Warum die EU weiter auf die Östliche Partnerschaft setzen sollte
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An diesem Mittwoch findet in Brüssel der EU-Gipfel der Östlichen Partnerschaft (ÖP) mit den sechs post-sowjetischen Staaten Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und Ukraine statt. Endlich. Das letzte Treffen in diesem Format liegt schon mehr als vier Jahre zurück. 2019 gab es eine Jubiläumsfeier, 2020 nur eine kurze Videokonferenz.
Primäres Ziel der Östlichen Partnerschaft?
An Themen mangelt es wahrlich nicht: Ukraine. Belarus. Bergkarabach. Doch Expert*innen sprechen schon seit einigen Jahren davon, dass die ÖP „tot“ sei. Spätestens mit der im Mai 2021 erfolgten Formalisierung der sogenannten Trio-Initiative durch die Staaten mit EU-Assoziierungsabkommen – Ukraine, Georgien und Moldau – droht ihr tatsächlich zumindest eine Spaltung. Anlass genug, sich mit den Konsequenzen maßgeschneiderter Angebote an unsere östlichen Nachbarn auseinanderzusetzen.
Bei der Gründung der ÖP 2009 wurde das Ziel formuliert, die notwendigen Voraussetzungen für die Beschleunigung der politischen Assoziierung der ÖP-Staaten und weiterer wirtschaftlicher Integration zu schaffen. Doch worum geht es eigentlich primär? Um Frieden, wirtschaftliche Entwicklung oder Demokratie?
Russland nicht verärgern
Aus Sicht der Länder der Trio-Initiative spielt die Friedensdimension jedenfalls eine entscheidende Rolle. Angesichts der von Russland verursachten Territorialkonflikte ist dies kaum überraschend. Die EU jedoch lehnt es ab, die bislang eher rudimentäre Sicherheitsdimension der ÖP so auszubauen, wie sie den drei Staaten vorschwebt. Man ist sich bewusst, wie dies in Moskau aufgenommen würde. In Gipfelabschlusserklärungen heißt es in schöner Regelmäßigkeit, die ÖP richte sich „gegen niemanden“ – auch wenn man das im Kreml wohl anders wahrnimmt.
Die ÖP besteht aus bilateralen Abkommen und einem „multilateralen Track“. In beiden dominiert faktisch das wirtschaftliche Zusammenwachsen als Hauptmotiv. Das ist wenig überraschend, weil dieser Aspekt in der Praxis ja auch die EU selbst dominiert. Schaut man sich die diskutierten ÖP-Prämissen für die Zeit nach 2020 an, so sieht man, dass zwar „Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit“ betont werden sollen und man das Engagement für Klimawandel-Resilienz und digitalen Wandel stärken möchte; besondere Ambitionen gibt es aber weiterhin bei der „Entwicklung resilienter und nachhaltiger Volkswirtschaften“. Kern des Ganzen ist ein „regionaler Wirtschafts- und Investitionsplan“, durch den bis zu 17 Milliarden Euro mobilisiert werden sollen.
Michel: „Katalysator für Demokratie und Reformen“
Wen kümmert da schon Demokratie, mag manch eine*r sagen. Aber laut Ratspräsident Michel ist die ÖP eben auch „Katalysator für Demokratie, Reformen der guten Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit“. Das klappt mal besser, mal schlechter – insgesamt aber doch eher schlecht. Hier muss und will man nachbessern, vor allem über die stärkere Nutzung sogenannter „Konditionalität“, d.h. das Knüpfen von Leistungen an bestimmte Bedingungen.
Und hier kommen wir zurück auf die Trio-Initiative. Diese soll dazu dienen, europäische Ambitionen zu untermauern und voranzutreiben. Das Ziel der Regierungen der Ukraine, Georgiens und von Moldau ist klar. Auch wenn das in Europa oft mit Ungläubigkeit zur Kenntnis genommen wird: Alle drei wollen in die EU. So schnell wie möglich.
Aber ein Trio allein löst noch keine Probleme. Auch in den Trio-Staaten ist beileibe nicht alles Gold. Und eine EU-Beitrittsperspektive gibt es – entgegen der landläufigen Meinung in den drei Staaten – bislang nicht nur wegen russischer Vorbehalte nicht, auch wenn Brüssel diese sehr wohl bedenken dürfte. Es gibt sie auch deshalb nicht, weil die Staaten noch weit davon entfernt sind, die entsprechenden Kriterien zu erfüllen. Dass die ÖP keine Überholspur in die EU darstellt, ist eigentlich eindeutig. Da aber verschiedene EU-Staaten Unterschiedliches im Schilde führen und sich mitunter bewusst sibyllinisch ausdrücken, sind wohl dennoch unrealistische Erwartungen geschürt worden.
Angebote für Ukraine, Georgien und Moldau
Immerhin scheint die EU angesichts jüngster Entwicklungen aber bereit, dem Trio bei Erfüllung bestimmter Reformkriterien „mehr“ anbieten zu wollen. Vor allem, weil man sich sorgt, dass die Staaten sonst wieder einen weniger pro-europäischen Weg einschlagen könnten. Was das „mehr“ jedoch sein könnte, darüber ist man sich noch nicht im Klaren. Auch deshalb ist in der ÖP-Gipfelabschlusserklärung eher nicht mit einer formellen Erwähnung des „Trios“ zu rechnen.
Die Trio-Initiative ist aber dennoch gekommen, um zu bleiben, und Ausdruck berechtigter Forderungen. Wie man diesen gerecht werden kann, darüber muss man sich in Brüssel Gedanken machen. Aber: Im Gegenzug muss auch geliefert werden. Justizreformen und der Kampf gegen Korruption etwa müssen konsequenter angegangen werden. Der Schlüssel liegt darin, sich um mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlichen Fortschritt zu bemühen, nicht zuletzt aus Eigeninteresse. Dann liegt der Ball in Brüssel. Und Brüssel steht vor einer weiteren wichtigen Aufgabe: auch dann noch die Balance so weit zu wahren, dass die ÖP trotz unterschiedlicher Entwicklungen in den Partnerstaaten als Ganze fortbestehen kann.
Was passiert mit Armenien?
Im Belarus sind heute Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Fremdwörter. Das Minsker Regime hat folgerichtig Ende Juni verkündet, als Reaktion auf die EU-Sanktionen seine Mitgliedschaft in der ÖP auszusetzen. Die EU will das belarussische Volk dennoch weiter unterstützen. Zusätzliche 30 Millionen Euro werden zur Verfügung gestellt. Auch ein umfangreicher Investitionsplan mit Finanzhilfen und Darlehen wurde in Brüssel bereits vereinbart, aber an eine demokratische Transition geknüpft. Wenn man nun den inklusiven ÖP-Ansatz begraben und belarussische Belange zwecks Fokussierung auf das „Trio“ hintanstellen würde, stieße man die Demokratiebewegung vor den Kopf. Es wäre ein fatales Signal.
Armenien bietet die vielleicht besten Gründe dafür, an einer inklusiven ÖP-Struktur festzuhalten. Armenien ist als einziger ÖP-Staat Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion und hat dennoch ein Partnerschaftsabkommen mit der EU unterzeichnet. Es hat bei aller von Moskau erzwungenen Abhängigkeit von Russland seine pragmatisch-konstruktiven Beziehungen mit der EU gewahrt. Vor allem Frankreich mit seiner großen armenischen Diaspora stemmt sich dagegen, die Kluft zwischen Armenien und den Trio-Staaten (noch) größer werden zu lassen. Das Kalkül ist nachvollziehbar: Armenien könnte in eine noch stärkere Abhängigkeit von Russland getrieben werden.
Mehr EU-Engagement in Bergkarabach erforderlich
Der erneut eskalierte Konflikt um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan gibt der EU einen weiteren wichtigen Grund, sich über die Trio-Staaten hinaus in den Staaten der ÖP zu engagieren. Bislang hat Brüssel die Chance verpasst, als ernsthafter Mittler aufzutreten. Es braucht hier mehr EU-Engagement, nicht weniger.
Für die aserbaidschanische Autokratie gilt darüber hinaus: Die EU darf, bei allen strategischen Überlegungen bezüglich Differenzierung und Inklusivität der Östlichen Partnerschaft und bei allen guten wirtschaftlichen Argumenten für eine enge Zusammenarbeit auch mit Baku, ihre Grundsätze nicht völlig über Bord werfen und muss die Vereinbarkeit ihres Handelns mit diesen Grundsätzen stetig überprüfen – siehe Belarus.
Fokus auf Trio zu gefährlich
Es wäre gefährlich, sich zulasten der ÖP allzu sehr auf die Trio-Staaten zu konzentrieren. Übrigens auch für die drei Staaten selbst. Man kann vieles an der ÖP kritisieren, z.B. dass die sozial gerechte Ausgestaltung der Reformprogramme immer noch die dritte Geige spielt. Doch die EU hat einiges erreicht, nicht nur mit Blick auf die gestiegenen Handelsvolumen. Wichtig ist die ÖP auch, weil sie Menschen zusammenbringt. Sie hat zu Visaliberalisierungen geführt, hilft jungen Menschen, ihren Erfahrungsschatz zu erweitern, und fördert die regionale Vernetzung und die Beziehungen der Partnerländer zueinander. Gerade Letzteres ist in Krisenzeiten wichtiger denn je und sollte nicht gefährdet werden.
Den Bevölkerungen von Belarus, Armenien und Aserbaidschan die kalte Schulter zu zeigen um Freiraum dafür zu schaffen, sich auf die Trio-Staaten fokussieren zu können, wäre der größte Fehler, den Brüssel machen könnte. Die ÖP muss an ihrem inklusiven Ansatz festhalten. Flexibilität ist zwar das Gebot der Stunde. Aber dennoch gilt es aus guten Gründen, zusammenzuhalten, was vermeintlich nicht mehr zusammengehört.
Am 15. Dezember erschienen im IPG-Journal.
ist Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung für Belarus und Leiter des Regionalbüros „Dialog Osteuropa“ mit Sitz in Kiew.