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Warum die EU nach dem Brexit mehr Eigenmittel braucht

Der Brexit bedeutet massive Einnahmeverluste für den EU-Haushalt. Mehr Eigenmittel der EU könnten die Überweisungen aus den nationalen Haushalten nach Brüssel senken. Dieser Vorschlag darf nicht mit dem Kampfbegriff „EU-Steuer“ sabotiert werden, warnt Jens Geier, Chef der deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament.
von Karin Nink · 3. Mai 2018
Nach dem Brexit: Mehr Geld für die EU wird gebraucht - aber wo soll es herkommen?
Nach dem Brexit: Mehr Geld für die EU wird gebraucht - aber wo soll es herkommen?

Jens Geier, die EU-Kommission hat gestern den Entwurf eines neuen Finanzplans für die Zeit von 2021 bis 2027 vorgelegt. Wie wirkt sich der Brexit darauf aus?

Die Europäische Kommission muss mit ihrem Vorschlag für den neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) deutlich machen, wie die Zukunft der EU auch ohne Großbritannien aussehen wird. Die Briten werden mit Beginn dieser neuen langfristigen Finanzplanung alle nennenswerten Zahlungen einstellen. Dadurch fehlen laut Kommission zwölf bis 14 Milliarden Euro jährlich. Das sind knapp zehn Prozent des jetzigen EU-Haushalts. Kein öffentlicher Haushalt kann eine solche Finanzlücke einfach so durch Einsparungen kompensieren. Dazu kommen neue Aufgaben, die die Regierungschefs der EU übertragen haben, etwa in der Verteidigungspolitik, in der Migration und im Grenzschutz.

Ich bin aber ein wenig hoffnungsvoll, dass die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten dieses Mal offener und konstruktiver verlaufen. Wenn es um Haushaltsfragen ging, stand die britische Regierung immer auf der Bremse. Das wird bei den jetzt anstehenden Verhandlungen nicht mehr der Fall sein . Auch die Bundesregierung hat sich dank der SPD von ihrem schwäbischen Sparmantra gelöst. Das ist die richtige Entscheidung.

Wie soll der Ausfall dieser zwölf bis 14 Mrd. Euro kompensiert werden?

Einerseits wird es in den großen Ausgabenposten in der Struktur- und Agrarpolitik geben. Aber mehr Geld in den EU-Haushalt einzuzahlen ist unumgänglich. Aktuell finanziert sich der EU-Haushalt zu 70 Prozent aus Überweisungen aus den nationalen Haushalten. Die nationalen Finanzminister betrachten natürlich jede Überweisung als „ihr Geld“. So wird dann jedes noch so sinnvolle EU-Programm zu einer unnötigen Belastung für den nationalen Haushalt.

Deswegen: Warum vermeiden wir nicht den Umweg über die nationalen Haushalte? Die Kommission hat einen Eigenmittelvorschlag mit Augenmaß vorgelegt. In der Vergangenheit wurde der Diskussion um EU-Eigenmittel von den Regierungschefs immer ausgewichen und mit ideologischen Kampfbegriffen wie der „EU-Steuer“ sabotiert. Aber niemand hat vor, dem Bundestag seine Steuerkompetenz zu nehmen. Vielmehr würden mehr Eigenmittel für die EU die Überweisungen aus den nationalen Haushalten senken. Die Eigenmittelentscheidung wird einstimmig getroffen und muss dann in den Mitgliedstaaten ratifiziert werden, also auch vom Bundestag.

Sind damit auch neue Forderungen aus den Reihen der EU wie etwa bei der Verteidigungspolitik, dem Schutz der Außengrenzen oder Migrationsfragen gedeckt?

Ja, der neue Vorschlag der Kommission sieht vor, 2021-2017 im Bereich „Migration und Grenzschutz“ 35 Mrd Euro und im Bereich „Sicherheit und Verteidigung“ 27,5 Mrd. Euro auszugeben. Auch die Mittel für die außenpolitischen Instrumente, mit denen Fluchtursachen beseitigt werden, sollen erheblich erhöht werden. Bisher gab es 66 Mrd. Euro aus dem Haushalt und zusätzlich 30 Mrd. Euro aus dem Europäischen Entwicklungsfonds. Jetzt sollen es 123 Mrd. Euro werden.

Lassen sich mit dem Einsatz von mehr Eigenmitteln auch Schweden, Österreich, Dänemark und die Niederlande überzeugen, die ihren EU-Beitrag kürzen wollen?

Klar ist, dass diese Regierungen ihre Haltung ‚mehr Aufgaben, weniger Geld‘ nicht bis zum Sankt Nimmerleinstags aufrechterhalten können. Wenn die österreichische Regierung mehr Grenzschutz, keine Kürzungen im Agrarbereich, aber gleichzeitig einen kleineren EU-Haushalt fordert, dann ist das doch schizophren.

Diese Regierungen müssen irgendwas nach Hause bringen. Wenn wir einen nennenswerten Anteil des EU-Haushaltes mit Eigenmitteln finanzieren, dann wird damit ja der Anteil der nationalen Überweisungen kleiner, also auch die Belastung für den österreichischen oder schwedischen Haushalt. Ich glaube, dass damit auch ein größerer EU-Haushalt für diese Regierungen tragbar ist.

Warum ist diese langfristige Finanzplanung so wichtig? Wie bewerten Sie aus sozialdemokratischer Sicht den Finanz-Entwurf der Kommission?

Die Finanzplanung geht bis ins Jahr 2027. Die Investitionen, die dieser Haushalt auslösen wird, werden noch Jahre später wirken. Es geht also nicht um eine einfache Buchhaltungsübung. Es geht um die Frage, welche EU wir haben wollen.

Der Vorschlag der Kommission ist insofern nicht der große Wurf, auf den manche gehofft haben. Beispiel Forschungspolitik: Die Kommission schlägt vor, den Etat um rund 22,5 Prozent auf 98 Mrd. Euro zu erhöhen. Das ist ein richtiges Zeichen. Aber: Aktuell kann die EU nur jedes siebte gute Forschungsprojekt finanzieren, viele Forschungsinstitute gehen leer aus. Der Vorschlag reicht also nicht. Oettingers Vorschlag ist mutlos. Die Kommission will zeigen, dass die EU Probleme lösen kann, aber den Mitgliedstaaten keine Orientierung über die Zukunft der EU zumuten.

Wie gut sind die Perspektiven, dass diesem Planungsentwurf zugestimmt wird?

Die mehrjährige Finanzplanung muss einstimmig von den Mitgliedstaaten beschlossen werden und bedarf der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Das ist eine Herkulesaufgabe, vor der wir stehen. Die Verhandlungen zur aktuell laufenden Finanzplanung haben 29 Monate gedauert und die Einigung kam im Grunde schon zu spät, um einen reibungslosen Start sicherzustellen.

Klar ist, dass jeder Mitgliedstaat seine eigenen nationalen Interessen durchsetzen will. Es bringt aber nichts, wenn die Regierungschefs ein Netz aus nicht verhandelbaren roten Linien legen. Diese Verhandlungen können nur dann gelingen, wenn alle kompromissbereit in die Verhandlungen gehen. Das Europäische Parlament hat eine ambitionierte Finanzplanung gefordert – die Regierungschefs sind gut darin beraten, das nicht zu vergessen.  

 

 

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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