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Warum die Demokratie weltweit auf dem Rückzug ist

Das Buch „Wie Demokratien sterben“ analysiert, warum und wie die liberale Demokratie zur Zeit so unter Druck gerät. Die Autoren warnen: Was vor kurzem noch undenkbar schien, könnte durch Trump im Weißen Haus Wirklichkeit werden. Ein beunruhigender Weckruf.
von Renate Faerber-Husemann · 17. September 2018
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Es ist eine beklemmende, aber wichtige Lektüre: „Wie Demokratien sterben“ haben die beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt ihr Buch genannt, das sich mit der Situation von Demokratien weltweit beschäftigt. Sie schreiben: „Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die meisten demokratischen Zusammenbrüche nicht durch Generäle und Soldaten, sondern durch gewählte Regierungen verursacht worden.“

Trump hat „klare autoritäre Neigungen“

Zu den Ländern weltweit, die von den Autoren genau angeschaut wurden, gehören auch zwei Mitglieder der Europäischen Union: Polen und Ungarn. Und mit Blick auf diese und zahlreiche weitere Staaten kommen die angesehenen Politologen zu folgendem Schluss: „Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne.“

Ausgangspunkt war für sie die Frage, wie in der stabilen, alten Demokratie der USA ein Mann zum Präsidenten gewählt werden konnte, der „klare autoritäre Neigungen hat“, der demokratische Spielregeln verachtet. Aber die beiden Europakenner untersuchen auch, warum in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden oder Frankreich extremistische Parteien enorme Zugewinne erzielen oder wie es in Großbritannien zum Brexit, also zur Abkehr von der alles in allem erfolgreichen Europäischen Union, kommen konnte. Trotz aller Skepsis glauben die Wissenschaftler, demokratische Normen seien in Westeuropa „im Großen und Ganzen“ intakt geblieben.

Die Wahl von Trump ändert vieles

Ein Grund zum Aufatmen ist das nicht, denn was für die Gegenwart gilt, muss nicht für die Zukunft gelten: Bis 2016 war, so die Autoren, der Rückzug der Demokratie weitgehend ein Mythos. Durch Trump im Weißen Haus habe sich das geändert. Nun könnte Realität werden, was vor kurzer Zeit noch undenkbar schien.  Die Krise der Europäischen Union, der Aufstieg Chinas, die zunehmende Aggressivität Russlands, dies alles spielt den Feinden der Demokratie weltweit in die Hände.

Dazu kommt: Die USA, während der Jahrzehnte des Kalten Krieges vor allem in Europa  in der Rolle des Demokratieförderers, haben sich zurückgezogen, sind sogar zum negativen Vorbild geworden. „Ein Land, dessen Präsident die Presse attackiert, seine Konkurrenten ins Gefängnis zu werfen droht und erklärt, er werde Wahlergebnisse möglicherweise nicht akzeptieren, ist kein glaubwürdiger Verteidiger der Demokratie. Sowohl vorhandene als auch potentielle Autokraten dürften sich durch Trumps Einzug ins Weiße Haus gestärkt fühlen.“

Ruck nach Rechts in Ungarn und Polen

Die Europäer erleben das zur Zeit, nicht nur in Ungarn und Polen. Parteien am rechten Rand erstarken selbst in soliden Demokratien wie Frankreich, Italien, Schweden oder den Niederlanden. Ähnliches gilt für Deutschland, das lange Zeit durch den Schock des Nationalsozialismus gefeit schien vor rechten politischen Abenteuern.

Die Rechten und Rechtsradikalen werden vermutlich nicht mit dem Ende von Trumps Präsidentschaft verschwinden. Die Folgen könnten weit über die USA hinaus „Demokratien ohne solide Leitplanken“ sein. Das beklemmende Fazit: Gerade die Generation, die heute das Sagen hat in Politik und Wirtschaft, hält Demokratie für selbstverständlich. Levitzky und Ziblatt fragen sich und ihre Leser, ob die Bürger wohl früh genug aufwachen, „um zu verhindern, dass die Demokratie von innen her zerstört wird.“

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt: „Wie Demokratien sterben“, 320 Seiten, 22 Euro, DVA München

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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