Warum Deutschland und die EU zu wenig für Flüchtlinge tun
Das kleine afrikanische Land Eritrea wird in deutschen Zeitungen gerne als eine „finstere Diktatur“ beschrieben, der Staat am Roten Meer sei so etwas wie das „Nordkorea Afrikas“. Der Grund: Unter dem Diktator Isayas Afewerki herrschen in dem Land Zwangsarbeit, Folter und willkürliche Hinrichtungen. Die staatliche Gewalt grenze an „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, stellte der UNO-Menschenrechtsrat 2015 fest.
„Erklärungsnotstand des Bundesinnenministeriums“
Trotzdem bekämen in diesem Jahr lediglich 70 Prozent der Asylbewerber aus Eritrea eine Anerkennung durch das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), erklärt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, am Donnerstag in Berlin. Im vergangenen Jahr seien es noch 100 Prozent gewesen. „Mehr als merkwürdig“, findet Burkardt die sinkenden Anerkennungsquoten von Anträgen aus Eritrea, Syrien und Afghanistan. Schließlich habe sich an der Menschenrechtslage in keinem dieser Länder etwas verbessert – ganz im Gegenteil. „Gibt es eine Einflussnahme auf das Bundesamt?“ fragt er sich mit Blick auf die stark gesunkenen Anerkennungsquoten. „Das muss das Innenministerium erklären“, fordert er anlässlich des nationalen Flüchtlingstags am 30. September 2016.
Das Vorgehen der zuständigen Behörde sei nicht transparent, kritisiert der Pro-Asyl-Geschäftsführer. Das Innenministerium müsse die Leitlinien für die Anerkennung von Asylanträgen offenlegen. Die Bundesrepublik stehe „vor einem Tabubruch in der Anerkennungspraxis“. Ingesamt erweckten Deutschland und die EU den Eindruck, alles unternehmen zu wollen, um die Anzahl anerkannter Flüchtlinge zu senken. Die erhöhte Zahl an abgelehnten Asylanträgen sowie die „systematische Versperrung der Fluchtwege“ seien Teil dieser Strategie – ungeachtet der verheerenden Menschenrechtslage auf den Fluchtrouten sowie in den Herkunftsländern der Flüchtenden.
Burkardt über Dublin IV: „Zerfall europäischer Werte“
„Wir stehen vor einer Entrechtung der Flüchtlinge“, prognostiziert Günter Burkardt. Der Grund für seine Sorgen: Die EU-Kommission will bald das sogenannte Dublin-IV-Abkommen verabschieden. Nach der geplanten Regelung werde es möglich, Flüchtlinge noch vor der Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit an den EU-Grenzen abzuweisen, klagt Pro Asyl. Damit würden sich EU-Hardliner wie der ungarische Präsident Viktor Orbán durchsetzen – es drohe die „Orbanisierung des Europäischen Flüchtlingsrechts“ zitiert Amnesty International (ai) den britischen Juristen Steve Peers. Für Burkardt ist klar: Mit Dublin IV werden „ungarische Verhältnisse zur Norm“ – das Asylrecht und die humanitäre Hilfe würden zugunsten von Festsetzung und Internierung der Flüchtlinge aufgegeben. Selbst mit Ländern wie dem Sudan, dessen Regierung mit chemischen Waffen gegen die eigene Zivilbevölkerung vorgehe, wolle die EU in der Flüchtlingspolitik zukünftig zusammenarbeiten. Davor warnt Günter Burkardt eindringlich: Es drohe der „Zerfall europäischer Werte“ – sollte die EU auch Abschiebungen in Staaten wie Ägypten erlauben, leiste sie selbst den Menschenrechtsverletzungen Vorschub.
Auch im Inland müsse mehr für die Menschenrechte der Geflüchteten getan werden, sind sich Amnesty International und Pro Asyl einig. Für die Asylunterkünfte in Deutschland gebe es „keinen angemessenen Schutz vor rassistischer Gewalt“, kritisiert Wiebke Judith, Asyl-Expertin bei Amnesty. Sie fordert ein bundeseinheitliches Schutzkonzept. Das Bundeskriminalamt zähle zwar immer mehr Straftaten gegen Asylbewerber – nur: „konkrete Schutzmaßnahmen bleiben aus“. Das Zeichen, das von diesem Missstand ausgehe, sei fatal. Denn damit werde „den Tätern signalisiert, dass sie mit ihrer Meinung nicht alleine stehen.“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.