Warum der „Green Deal“ die EU-Strategie aus der Corona-Krise sein muss
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2030, 2050 – das sind die Jahreszahlen, auf die es in Sachen Klimaschutz ankommt. Mit Blick auf die aktuelle Corona-Krise wirkt das noch weit weg. Doch Frans Timmermanns und Svenja Schulze warnen eindringlich: Der Europäischen Union läuft in Sachen Klimaschutz die Zeit davon. Längst haben Kritiker*innen des „Green Deal“ mobil gemacht, wollen das Engagement im Klimaschutz zurückfahren, zuvor getroffene Vereinbarungen zu Emissionszielen und Umweltschutzstandards aufweichen. Das Argument: Zunächst müsste der Wirtschaft wieder auf die Beine geholfen werden, zu hohe Ansprüche im Klimaschutz würden da nur stören.
Ein Trugschluss, den Timmermanns und Schulze zusammen mit der SPD-Europaabgeordneten Delara Burkhardt zu entkräften versuchten. Das Trio kam am Mittwoch per Webkonferenz zusammen, um zu erklären, warum gerade jetzt der Klimaschutz nicht zurückgefahren werden sollte – und warum das Konjunkturhilfen für die Wirtschaft auch gar nicht ausschließt. Zu der digitalen Debatte hatten sich laut Burkhardt über 400 Zuhörer*innen angemeldet – die ganze Debatte gibt es bei Youtube auch zum Nachschauen.
Wiederaufbau - aber nachhaltig
Es sei „gefährlich und falsch“, die sozialökologische Wende, wie sie im „Green Deal“ skizziert wird, nun zurückzustellen, so Burkhardt schon zu Beginn. Es gehe vielmehr um die Frage: „In welcher Welt wollen wir eigentlich nach der Corona-Krise leben? Wir können uns entscheiden.“ Ob mit den anstehenden Wiederaufbauprogrammen die alte Wirtschaft unterstützt werden solle, die die Umwelt zerstört und das Klima erhitzt, oder „ob wir sie nutzen, um etwas neues wagen.“
Aus Sicht des Green-Deal-Architekten Frans Timmermans ist die Umsetzung der Ziele mit dem Wirtschaftseinbruch durch die Corona-Krise ungleich schwerer geworden. „All das Geld, das wir jetzt verfügbar machen, das der Wirtschaft helfen soll, das können wir nur einmal investieren.“ Eine Zukunftsinvestition, für die auch sicherlich neue Schulden aufgenommen werden müssten, so der Klima-Kommissar weiter.
Schulden, die der nachfolgenden Generation aufgebürdet werden. „Aber wollen wir damit die Wirtschaft des 20. Jahrhunderts wiederaufbauen, obwohl wir wissen, dass diese Wirtschaft keine Zukunft hat?“, fragte Timmermans rhetorisch. „Dann haben unsere Kinder später mehr Schulden, eine Wirtschaft, die schlecht ist und haben gar keine Möglichkeit mehr zu investieren.“ Seine Schlussfolgerung: „Wir haben gegenüber unseren Kindern nicht das Recht, den Green Deal nicht zu machen.“ Deswegen müssten Investitionen nachhaltig angelegt sein, für nachhaltige Jobs, nachhaltige Infrastruktur. Es gebe nur diese eine Möglichkeit.
„Impfstoff" für das Klima vorhanden
„Anders als bei Corona wissen wir eigentlich im Bereich Klimaschutz ganz genau, was wir tun müssen. Der Impfstoff ist schon gefunden“, zog daraufhin Umweltministerin Svenja Schulze einen Vergleich mit dem Kampf gegen das neue Coronavirus. Trotzdem war der „Green Deal“ mit seinen Investitionszielen in den Ausbau der Erneuerbaren Energien oder der Unterstützung der vom Strukturwandel betroffenen Regionen schon vor der Corona-Krise umstritten – in Europa, aber auch in den Mitgliedsstaaten, Deutschland eingeschlossen. Über das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung wurde schon im Herbst 2019 heftig gestritten. Der getroffene Kompromiss geht Expert*innen vielfach nicht weit genug, um die Vereinbarung des Pariser-Klimagipfels zu erreichen, an dem sich die Klimaschutzmaßnahmen weltweit orientieren.
Allerdings: Selbst mit ambitionierteren Zielen auf nationaler Ebene bleibt der Klimaschutz ein globales Problem. „Wir müssen international zusammenarbeiten“, betonte Schulze mit Blick auf die anstehende EU-Ratspräsidentschaft, „wir müssen europäische, gemeinsame Lösungen auf den Weg bringen.“ Deutschland hat ab dem 1. Juli die Präsidentschaft für sechs Monate inne und übernimmt das Steuer von Kroatien.
Streit um höhere Reduktionsziele
Deswegen sind die beiden Sozialdemokrat*innen Schulze und Timmermanns auch vorsichtig, was eine zu starke Anhebung der Reduktionsziele bis 2030 betrifft. Der bisherige Plan sieht eine Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent vor, um die globale Erderwärmung zu begrenzen, in der EU wird laut Timmermanns in der Folgenabschätzung des „Green Deal“ aber schon mit 55 Prozent Einsparung gerechnet. Das Papier soll im September vorliegen. Den Forderungen einiger Wissenschaftler*innen, sogar noch mehr Emissionen zu sparen, erteilte der Niederländer eine Absage. „Wir gehen nicht über 55 Prozent“, sagte Timmermanns. Seine Begründung: „Das wird schon eine Riesenaufgabe für die meisten Mitgliedsstaaten“, so Timmermanns. „Bei 65 Prozent weiß ich ehrlich gesagt überhaupt nicht, wie das machbar sein soll.“ Das unterstützte auch Schulze. Das sei zwar in Deutschland ebenfalls umstritten, aber es gebe gleichzeitig Unternehmen, die dieses Ziel unterstützen. Andererseits würden beispielsweise Länder wie Polen 80 Prozent ihres Stroms aus Kohle gewinnen, nannte sie ein Nachbarland als Beispiel für die unterschiedlichen Wirtschaftsmodelle in der EU.
Die Konfliktlinien laufen dabei auch innerhalb von Parteien: CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich jüngst beim Petersberger Dialog zu den europäischen Klimazielen bekannt, gleichzeitig stellte sich die CDU-Bundestagsfraktion im Mai in einem Positionspapier gegen eine Erhöhung des Reduktionsziels für 2030 auf 55 Prozent und plädierte für marktwirtschaftliche Das bedeute lediglich eine massive Anhebung der deutschen Klimaschutzziele zugunsten der anderen europäischen Länder. Delara Burkhardt geißelte das Positionspapier der Christdemokrat*innen als „Zukunftsverweigerung“ – und stellte dem Papier vier Eckpunkte für eine nachhaltige EU-Wiederaufbauinitiative entgegen – mit dem „Green Deal“ als Basis und dem EU-Wiederaufbauprogramm als Turbo für die sozialökologische Wende.