Warum der einseitige Abzug Israels aus Gaza nicht zum Frieden führte
Vor zehn Jahren, am 5. August 2005, zog Israel sich ohne politische Übereinkunft aus dem Gaza-Streifen zurück. Die 21 jüdischen Siedlungen in dem arabischen Gebiet wurden ebenso geräumt wie alle militärischen Einrichtungen. Es war ein Akt der politischen Ratlosigkeit der Regierung in Jerusalem. Denn im Gegenzug für den Rückzug der Armee und der Räumung der zivilen Ortschaften erhielt Zion von palästinensischer Seite keine politische Zusage. Der damalige israelische Ministerpräsidenten Ariel Sharon tat, als wäre ihm die Haltung der palästinensischen Autonomieregierung unter Präsident Yassir Arafat einerlei. Sharon hielt Arafat für einen Lügner, mit dem bindende Abkommen sinnlos wären. Also verzichtete er darauf und handelte einseitig. Dies war ein fataler Fehler.
Sharon ordnete den Rückzug aus Gaza aus drei Gründen an
- In dem Gebiet von gerade 360 Quadratkilometer lebten damals 1,5 Millionen Araber. Diese Situation ließ sie zunehmend politisch radikalisieren. Der Streifen war für die israelische Armee nicht beherrschbar.
- In dem er den Rückzug Israels befahl, empfahl sich Sharon den westlichen Staaten als Partner für ein umfassendes Friedensabkommen ohne Beteiligung seines Erzfeindes Arafat.
- Die überwiegende Mehrheit der Israelis wollte einen Rückzug aus Gaza. Man war nicht länger bereit, für einige Tausend Siedler ständig Opfer zu bringen.
Allerdings gab es unter Israels Rechten, vor allem in Sharons eigener Likud-Partei, und bei den Siedlern im Westjordanland starke Widerstände gegen einen Abzug aus Gaza. Selbst Mitglieder des Kabinetts wie der damalige Finanzminister Netanyahu, sprachen sich vehement dagegen aus. Im Herbst 2004 stimmte das Zentralkomitee des Likud gegen die Räumung des Gazastreifens. Sharon ließ sich dadurch nicht abschrecken. Die Israelis nannten ihn Bulldozer. Er war es gewohnt, Widerstände beiseite zu räumen. War der Likud gegen ihn, so bediente sich Sharon bei der Arbeitspartei. Die Sozialdemokraten verhalfen Sharon in der Knesset zur Mehrheit für den Abzug. Obgleich sich die Siedler verzweifelt gegen die Räumung ihrer Ortschaften wehrten und nur noch die Hälfte des Likud hinter ihm stand, mehrere Minister zurücktraten, befahl Sharon der Armee, die jüdischen Siedlungen und anschließend das gesamte Gebiet zu räumen.
Die israelfeindliche Hamas putschte sich in Gaza an die Macht
Mehr als 70 Prozent der Israelis unterstützten Sharons Kurs. Um seine politische Basis zu verbreitern, bildete Sharon mit gemäßigten Kräften aus dem Likud wie der späteren Außenministerin Livni und dem heutige Vizepremier Silvan Shalom eine neue Partei, die Kadima – Vorwärts. Die Kadima stand vor einem Wahlsieg. Doch Sharon fiel im Januar 2006 in ein Koma, aus dem er nicht wieder erwachte. Das von ihm durchgeboxte Abkommen erfüllte nicht die in es gesetzten Erwartungen. Bei den palästinensischen Wahlen 2006 errang die islamistische Hamas, die Israels Existenz bekämpft, einen Wahlsieg. Die meisten Befürworter hatte die Hamas in Gaza. Im Folgejahr putschte sich die Hamas im Gazastreifen an die Macht. Dabei wurden mehr als tausend Palästinenser umgebracht. Die Hamas verschärfte ihren Konfrontationskurs gegen Israel. Es kam zu einer Eskalation. Israelische Ortschaften wurden mit Raketen angegriffen. Die israelische Armee schlug zurück. Mehrere tausend Palästinenser und über hundert Israelis kamen dabei um. Israel zerstörte weite Teile der Infrastruktur in Gaza.
Ariel Sharon und seine Unterstützer wollten durch den einseitigen Rückzug aus Gaza den Palästinensern einen Frieden, zumindest einen weitreichenden Waffenstillstand nach der Formel Land für Frieden diktieren. Das erwies sich als undurchführbar. Eine Lösung des hundertjährigen palästinensisch-israelischen Konfliktes ist dennoch nicht ausgeschlossen. Voraussetzung muss die Bereitschaft sein, das Existenzrecht der Gegenseite anzuerkennen. Fehlt diese politische Grundlage, dann sind alle einseitigen Maßnahmen und Abkommen auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Nicht nur im israelisch-palästinensischen Verhältnis, sondern weltweit.
ist ein deutsch-israelischer Schriftsteller, Publizist, Politologe und Zeithistoriker.