Warum das rot-grüne Schweden mit der Solidarität in der EU hadert
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Die Schweden sind aktuell nicht zu beneiden. Die COVID-19 Pandemie hat die Risse im schwedischen Wohlfahrtsstaat besonders in der Pflege der Älteren deutlich gemacht. Der Nachbar Dänemark verfügt ein Einreiseverbot wegen des schwedischen Sonderwegs im Umgang mit dem Virus. Nun stehen die Schweden zusätzlich am Pranger, weil sie den Merkel-Macron-Vorschlag zur Einrichtung eines Wiederaufbaufonds, der die von der Pandemie hart getroffenen Mitgliedsstaaten unterstützen soll, ablehnen. Die Diskrepanzen mit Dänemark sind lösbar, glaubt man in Stockholm. Dass aber nun ausgerechnet Schweden, das sich für seine internationale Solidarität rühmt als kaltherziger Krämer dasteht, ist für die rot-grüne Regierung schwer zu ertragen. Denn eigentlich hat sie sich genauso wie sonst auch verhalten. Aber die Welt ist nun eine andere. Das merkt Schweden jetzt.
Corona ändert die Spielregeln in Europa
Vor Corona war alles noch in Ordnung: Eine Brexit-bedingte Ausweitung des EU-Budgets und vor allem ein höherer schwedischer Beitrag zum EU-Haushalt wurde schroff abgelehnt. Die Sperrlinie Deutschlands und des Sparclubs der „Frugal-Four“, bestehend aus Dänemark, den Niederlanden, Österreich und Schweden, hielt.
Dann kam die Pandemie. Mit ihr brach die europäische Wirtschaft in weiten Teilen zusammen und die Mitgliedsstaaten gaben innerhalb von Wochen unvorstellbare Summen aus, um die Krise zu bewältigen. Mit der Pandemie veränderte sich auf einmal das Brüsseler Spiel. Alte Gewissheiten galten nicht mehr.
Vorwurf der fehlenden Solidarität
Plötzlich legte Deutschland die harte fiskalische Hand ad acta. Angela Merkel vollzog eine ihrer berühmten 180-Grad-Drehungen und stellte gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihren Wiederaufbaufonds für die EU vor. Was zuvor bei der Eurokrise als undenkbar galt, war nun möglich. Gemeinsame Eurobonds sollten auf den Kapitalmärkten beliehen werden, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu finanzieren. Zwar versuchten die „Frugal Four“ mit ihrem Gegenvorschlag Sand ins Getriebe des französisch-deutschen Motors zu streuen, allerdings ohne Erfolg.
Vor allem die schwedischen Sozialdemokraten stehen wie begossene Pudel da. Die sozialdemokratisch geführte Regierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sie sei unsolidarisch. Denn ausgerechnet sie lehnt den vom sozialdemokratischen deutschen Finanzminister und linksliberalen französischen Premier entworfenen Plan ab, um den von Sozialdemokraten geführten Ländern Spanien und Italien zu helfen. Schweden ist zu kurz gesprungen.
EU ist Frieden- und Wohlstandsgarant
Wie ist es dazu gekommen? Zum einen hat Schweden Deutschland nicht verstanden. Es hat übersehen, wie wichtig das Projekt der europäischen Einigung und die deutsch-französische Freundschaft den intellektuellen und politischen Eliten Deutschlands sind. Letztendlich hat das Wüten des Virus in Europa den Deutschen im 75. Jahr des Kriegsendes die Wichtigkeit der europäischen Einigung als Friedensprojekt noch einmal vor Augen geführt. Zudem hat der Brexit, populistische Regierungen im Mitteleuropa und die Erfahrungen mit der rechtspopulistischen Regierung in Italien deutlich gemacht, wie gefährdet das Projekt ist. Ein möglicher Austritt des EU-Gründungsmitglieds Italien könnte einen unvorstellbaren Schaden anrichten, weshalb eine Neuauflage der Austeritätspolitik, wie sie damals von Deutschland durchgesetzt wurde, keine Option darstellt.
Zunächst keine überzeugten Europäer
Schweden dagegen hat ein ganz anderes Verhältnis zu Europa. Die letzte kriegerische Auseinandersetzung fand in Schweden 1809 statt. Spätestens mit der Beendigung der Union mit Norwegen 1905 waren die schwedischen Großmachtambitionen in Europa endgültig vorbei. Das Land besann sich auf sich selbst. Das Wahren der schwedischen Souveränität als oberste Maxime hat das Land durch den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg einigermaßen schadlos leiten können.
Als Schweden 1994 EU-Mitglied wurde, geschah das weniger aus der Überzeugung für das europäische Projekt als aus der Not einer schweren Wirtschaftskrise und der Erkenntnis, dass der schwedische Wohlfahrtsstaat ohne engere wirtschaftliche Anbindung an die EU nicht zu finanzieren sei. Entsprechend gespalten waren und sind die Sozialdemokraten in der Frage nach ihrem Verhältnis zur EU. Zwar war Schweden stets ein verlässlicher Partner, doch weitergehende Integrationsschritte wurden oft mit Argwohn betrachtet.
Lange hinter Großbritannien versteckt
Darüber hinaus konnte sich Schweden, solange sich Großbritannien als EU-Mitglied immer als Querkopf aufgeführt hat, immer hinter den britischen Manövern verstecken. Das geht seit dem Brexit nicht mehr. Wenn in Schweden über die Europäische Union diskutiert wird, dann meist über die Frage, wie viel das Land aus dem EU-Budget im Verhältnis zu seinem eingezahlten Beitrag bekommt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung über den Fortgang der europäischen Einigung findet nicht statt. Die EU wird mit ihren Institutionen eher skeptisch beäugt. Eine mögliche europäische Direktive für einen Mindestlohn etwa wird in aller Schärfe von den Sozialpartnern abgelehnt, weil befürchtet wird, dass der schwedische Wohlfahrtsstaat damit angreifbar gemacht werden könnte.
Wie kommt Schweden nun aus dieser europäischen Schmuddelecke heraus? Innenpolitisch muss sich das Narrativ ändern. Nicht nur die Politik, sondern auch die Sozialpartner und alle gesellschaftlichen Kräfte müssen deutlich machen, was die EU-Mitgliedschaft Schweden bislang gebracht hat. Sie könnten sich an Finnland halten, die sich besonders unter ihrer neuen Regierungschefin Sana Marin deutlich zur EU hinbewegt. Schweden sollte gemeinsam mit seinen nordischen Nachbarn die Stimme erheben und Europa aktiv gestalten.
Schwedisch-deutscher Schulterschluss
Sollte Schweden in Bezug auf Frankreich Unbehagen empfinden, könnte man den Schulterschluss mit Deutschland suchen und das europäische Projekt mit gemeinsamen Initiativen voranbringen. Dafür müsste auch Deutschland wieder besser einschätzbar sein und dafür braucht man einen engen Austausch. Die Sozialdemokratie in beiden Ländern ist hierfür prädestiniert. Zwar sind die Zeiten von Olof Palme und Willy Brandt mit den Bildern ihrer Treffen im schwedischen Regierungssitz in Harpsund lange vorbei, doch müssten beide Bewegungen den Geist von Harpsund wiederentdecken und mit stärkerer und gemeinsamerer Stimme den europäischen Weg mitbestimmen.