International

Warm-Up in Freiburg

von Dirk Farke · 12. März 2012

In vier Monaten wird die gesamte Welt wieder nach Rio de Janeiro blicken. Genau 20 Jahre nach dem so genannten Erdgipfel laden die Vereinten Nationen zu einer Nachfolgekonferenz unter dem Titel Rio+20. In Freiburg im Breisgau trafen sich am vergangenen Wochenende 63 Umweltpreisträger aus 37 Nationen, um im Vorfeld eine gemeinsame Erklärung zum Handeln abzugeben.

1992 wurde in Rio ein Vertrag mit großen Zielen aufgesetzt. Die so genannte Rio-Erklärung besaß jedoch keinerlei völkerrechtliche Verbindlichkeit. In dem Papier hieß es: „Die Staaten werden in einem Geist der weltweiten Partnerschaft zusammenarbeiten, um die Gesundheit und die Unversehrtheit der Erde zu erhalten, zu schützen und wiederherzustellen.“ Damals herrschte weltweit noch  Aufbruchstimmung für eine nachhaltige Entwicklung und für Umweltschutz. Doch leider kam dann alles ganz anders und das, was sich seither abspielt, ist nichts anderes als eine Tragödie griechischen Ausmaßes.

Während des Kalten Kriegs war das Kapital noch gezwungen, sich mit dem Staat zu arrangieren, der als Bollwerk gegen den Kommunismus auftrat, denn dieser gefiel dem Kapital ja noch weniger als sich einmischende Regierungen. Die transnationalen Konzerne agierten vergleichsweise domestiziert und hielten sich noch an gewisse Regeln. Als Anfang der 1990er Jahre der Eiserne Vorhang fiel, wurde diese Allianz aufgekündigt. Die Konzerne drohten, Produktion und Firmensitze ins Ausland zu verlagern, sofern die Steuern nicht erheblich gesenkt würden. Die Steuerspirale begann sich nach unten zu drehen und ist offensichtlich noch lange nicht zum Stillstand gekommen. Die Staaten sind seitdem systematisch verarmt und die Versprechen von Rio, etwas gegen Armut, Hunger und Klimawandel zu tun, geplatzt wie die Finanzblasen.

Stadtführung und Menschenkette

Von radikaler System-Kritik sind die aus allen Teilen der Welt angereisten Umweltaktivisten am Samstag in Freiburg weit entfernt. Bei blauem Himmel und frühlingshaften Temperaturen steht  eine Stadtführung durch die pittoreske Altstadt ebenso auf dem Programm wie die obligatorische Besichtigung von Freiburgs Vorzeigestadtteil Vauban mit seinen Passivhäusern.

Aber diskutiert wird natürlich auch, zumal der erste Jahrestag von Fukushima ist. Und so dreht sich – während Demonstranten in der Shopping-Meile mal wieder eine Menschenkette bilden und versuchen, einen reibungslosen Konsum zu beeinträchtigen – die Debatte um die Atomkraft. Monika Griefahn, SPD-Bundestagsabgeordneten, Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland und Mitglied bei der Right Livelihood Award Foundation, die den Alternativen Nobelpreis verleiht, hält den deutschen Ausstieg noch lange nicht für unumkehrbar. „20 Kilometer von hier, hinter der französischen Grenze stehen 58 AKW, die abgeschaltet werden müssen. Ganz Europa muss frei sein von Atomkraftwerken, dann kann der globale Ausstieg in Angriff genommen werden“, fordert Griefahn und bekommt dafür viel Beifall von den Preisträgern und der interessierten Öffentlichkeit. 

Nicht mehr als der Orchester auf der sinkenden Titanic

Auch Nadezhda Kutepova, aus Russland angereist und mit dem Nuclear-Free-Future-Award prämiert, kritisiert die Atomlobby: „Sie verfolgt allein ihre Ziele, nicht unsere. Atomkraft ist nicht für den menschlichen Gebrauch geschaffen“, ist sich Kutepova sicher. Als Kind hat sie ihre Großmutter und den Vater, die beide in den 50er Jahren an der ersten sowjetischen Atombombe mitbauten und an Krebs erkrankten, verloren.

René Ngongo, kongolesischer Biologe und Ökologe, im Jahre 2009 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, übt zwar grundsätzliche Kritik an den derzeitigen katastrophalen Zuständen, ohne jedoch die Ursachen hierfür auch nur anzudeuten: „Die Regierungschefs haben damals in Rio verschiedene Zusagen gemacht, deren Erfüllung uns einige der katastrophalen Zustände hätten ersparen können, denen wir uns heute gegenüberstehen. Aber leider haben sie ihre Versprechen nicht gehalten“, kritisiert der Aktivist.

Der Physiker Gerhard Knies, vom „Stern“ als „Wüstenstrom-Pionier und geistiger Vater des Industrieprojektes Desertec“ bezeichnet, befürchtet, dass Rio+20 nur eine weitere Bühne für nationale Machtspiele wird. „Die traurige Wahrheit ist, dass Rio bisher nicht viel mehr als das Orchester an Deck der sinkenden Titanic ist“, sagt Knies in Freiburg. „Ich befürchte, dass Rio+20 wieder nur eine weitere Bühne für nationale Machtspielchen wird“, kritisiert er internationale Politik.

„Call for Action“ als Konsens

Aber genau das wollen die Aktivisten bereits im Vorfeld hier in Freiburg verhindern und zwar mit Hilfe der „Green Economy“. Denn nach Auffassung der 63 versammelten Umweltschützer ist „die Marktwirtschaft die flexibelste und erfolgreichste Wirtschaftsform, die lediglich noch klare staatliche und internationale Rahmenbedingungen“ benötige, die zum Beispiel zum Abbau umweltschädigender Subventionen führten. Es wäre nicht uninteressant gewesen zu erfahren, wie dem zügellosen, die Menschheit und den Planeten zerstörenden Neoliberalismus dieses grüne Halsband umgelegt werden soll.

Nach dreitägigem Ringen um jedes Adjektivattribut verständigten sich die Delegierten dann auf den Freiburger „Call for Action“. Unter anderem werden darin einheitliche Pro-Kopf-Werte für Energie, Emissionen, Wasser, Flächen- und Ressourcenverbrauch gefordert. Unter dem Stichpunkt „Green Security“ sind die Industrieländer aufgefordert, jährlich 600 Milliarden US-Dollar – das entspricht knapp der Hälfte des globalen Militärhaushaltes – in die nachhaltige Sicherung der Lebensbedingungen zu investieren. Für diesen gemeinsam gefundenen Konsens spendeten sich die Aktivisten viel Applaus und die Veranstalter sind sich einig, dass das Event von nun an jährlich und natürlich nur in Freiburg stattfinden soll.

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