Die Endergebnisse der Wahlen in Norwegen zeigen, dass die Fortsetzung einer rechten Regierung dort ganz klar abgelehnt wird. Die gemäßigte Linke und die linken Oppositionsparteien konnten zusammen 100 von insgesamt 169 Parlamentssitzen für sich gewinnen. Mit einer solchen „Wachablösung“ wurde nach acht Jahren Regierung durch Erna Solbergs Konservative Partei zwar gerechnet, aber dass die drei ehemaligen Koalitionspartner – die Arbeiterpartei, die Sozialistische Linkspartei und die Zentrumspartei – insgesamt 89 Sitze bekommen würden, hätte wohl kaum jemand erwartet.

Linke Regierungskoalition favorisiert

Eine Mehrheitskoalition aus drei Parteien ist für Støre und seine Arbeiterpartei das bevorzugte Modell und wird – aus ihrer Sicht – auch Hauptziel der kommenden Koalitionsverhandlungen sein. Aber dieses Ergebnis ist keineswegs sicher, da die beiden kleineren Parteien gewisse Vorbehalte haben. Die realistische Alternative dazu wäre eine Minderheitsregierung der Arbeiterpartei – allein oder gemeinsam mit der Zentrumspartei.

Drei Politikbereiche spielten bei dieser Wahl eine zentrale Rolle: soziale Ungleichheit, Klimawandel und die Disparitäten zwischen den Städten und dem ländlichen Raum. Durch den IPCC-Bericht Ende August entwickelte sich der Klimawandel in den Medien zum größten Thema der Wahlberichterstattung. Derzeit konzentriert sich die norwegische Klimadebatte weitgehend auf die Ölindustrie – insbesondere auf die Frage, wo die rote Linie für die weitere Suche nach neuen Quellen liegen sollte. Diese Diskussionen erstrecken sich – sowohl bei der politischen Linken als auch bei der Rechten – über die traditionellen Koalitionen hinweg.

Wahlkampf zwischen Armut, Reichtum und Corona

Die Pandemie hat bestehende Ungleichheiten aufgezeigt und sogar verstärkt. Diese wachsenden Diskrepanzen – auf dem Arbeitsmarkt, im Sozialsystem, bei der Wohlstandsverteilung – haben zunehmend Aufmerksamkeit erregt. Der Wahlkampf wurde auch von der Debatte darüber geprägt, ob und wie das Steuersystem hierzu passe und ob die norwegische Reichensteuer den Unternehmen schade.

Wie Macht, Respekt und Güter entlang der Stadt-Land-Achse verteilt werden, spielte für die norwegische Politik schon immer eine wesentliche Rolle. Für die Zentrumspartei sind die Disparitäten zwischen Stadt und Land eine raison d’etre:Nachdem die rechte Regierung Gebietsreformen durchgeführt hatte, um Kommunalverwaltungen, Polizeibezirke und andere Einrichtungen zu zentralisieren, gewann die Zentrumspartei mit einem überzeugenden Narrativ und ihrem charismatischen Parteivorsitzenden enorm dazu.

Die Arbeiterpartei wiederum hat sich seit ihrer Niederlage von 2017 intensiv bemüht, ihr Profil zu schärfen. Ihr Wahlspruch „Jetzt sind die gewöhnlichen Menschen an der Reihe!“ kann als Zusammenfassung dieser strategischen Entscheidungen betrachtet werden. Schaut man genau hin, was die Partei ausmacht und für was sie steht, könnte man sie als Interessenpartei für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezeichnen. Das war sie bereits bei ihrer Gründung im 19. Jahrhundert, und durch die formale Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des norwegischen Gewerkschaftsbunds LO ist diese Ausrichtung immer noch das Rückgrat der Parteistruktur. Ihr Programm gibt arbeitsmarktbezogenen Themen hohe Priorität, beispielsweise der Stärkung des Rechts auf Festanstellung oder Anreizen für einen Gewerkschaftsbeitritt.

Erfolg der Arbeiterpartei: Aus einem Fehler gelernt

Einer der Auslöser für die Niederlage der Arbeiterpartei 2017 war, dass sie damals Steuererhöhungen im Umfang von 1,4 Milliarden Euro plante, wobei aber unklar blieb, wer genau diese zusätzliche Bürde tragen sollte. Bei der aktuellen Wahl von 2021 versprach sie hingegen, die Steuern von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die weniger als 74 000 Euro jährlich verdienen, zu senken und stattdessen die Vermögenssteuer zu erhöhen. Außerdem hat die Arbeiterpartei hinsichtlich der wirtschaftlichen Ungleichheit noch weitere Pläne. So will sie die Löhne für CEOs im öffentlichen Sektor senken und die Steuern auf die teuersten Elektroautos erhöhen. Neben dieser Schärfung ihres Profils ist es offensichtlich, dass die Partei Zeit und Energie in die Formulierung gut überlegter Maßnahmen zu Themen investiert hat, die unter ihren Wählerinnen und Wählern umstritten sind, beispielsweise Einwanderung.

Wie der Politikwechsel nach Amtsübernahme der neuen Regierung aussehen wird, wird sich in den Koalitionsverhandlungen zeigen. Die Wahlkampfversprechen und Programme der linken und Mitte-links-Parteien lassen allerdings bereits einige Prioritäten erkennen. Bei der Bekämpfung sozialer Ungleichheit wird unter anderem über höhere Kapitalsteuern und neue Initiativen zur Sozialreform wie kostenlose Schulmahlzeiten und Zahnbehandlungen diskutiert. Mit Blick auf den Klimawandel haben sich alle linken Parteien ehrgeizige Ziele für die Emissionsminderung im Inland gesteckt. Weiterhin streben sie eine fairere Lastenverteilung beim ökologischen Wandel und eine aktivere staatliche Rolle in der Industriepolitik an, die die Märkte prägt und nachhaltige Produktion fördert. Außerdem dürfte es sowohl innerhalb als auch zwischen den linken Parteien intensive Debatten über die Ölindustrie und die Erschließung neuer Quellen geben. Mögliche Kompromisse zeichnen sich hier noch nicht ab.

Norwegen wird verlässlicher EU-Partner bleiben

In verteidigungs- und sicherheitspolitischer Hinsicht sind sich die großen Parteien traditionell ziemlich einig. Norwegen wird auch nach dieser Wahl ein zuverlässiger Partner seiner europäischen und transatlantischen Verbündeten bleiben. Das vertiefte EWR-Freihandelsabkommen zwischen Norwegen und der EU, das dem Land Zugang zum gemeinsamen europäischen Markt gibt, ist unter den Linksparteien allerdings umstritten; die sozialistische Linke und die Zentrumspartei lehnen es ab. Da eine weitere norwegische Beteiligung daran aber ein Hauptanliegen der Arbeiterpartei ist, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich eine Mitte-Links-Regierung verständigen könnte, dieses Abkommen aufzukündigen.

Derzeit scheint es, als habe Norwegen die Pandemie ohne allzu tiefe Narben – hinsichtlich Sterblichkeit, Impfung und Arbeitslosigkeit – überstanden. Der Seuchenschutz wurde größtenteils entpolitisiert und der Verwaltung überlassen. Das Thema Pandemie spielte im Wahlkampf daher keine große Rolle. Ob Norwegen nun tatsächlich das Ende der Corona-Jahre erlebt, bleibt abzuwarten. Aber angesichts der neuen politischen Mehrheitsverhältnisse werden alle Sorgen der gemäßigten Linken in Norwegen momentan von Optimismus überstrahlt.