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Wahlen in Italien: Die Linke kann den Vormarsch der Rechten bremsen

Eine stabilisierte Regierung Conte, eine gestärkte linke Partito Democratico (PD), eine in ihrem Siegeszug vorerst gebrenste Rechte: Dies sind die wichtigsten Resultate der Regionalwahlen und des Verfassungsreferendums, die am Sonntag und Montag in Italien abgehalten wurden.
von Michael Braun · 22. September 2020
Regionalwahlen mit Auswirkungen auf die Regierung in Rom: Hier der Amtssitz des Ministerpräsidenten, angestrahlt in den italienischen Landesfarben.
Regionalwahlen mit Auswirkungen auf die Regierung in Rom: Hier der Amtssitz des Ministerpräsidenten, angestrahlt in den italienischen Landesfarben.

In sechs Regionen – Ligurien und das Veneto im Norden, die Toskana und die Marken in Mittelitalien, Kampanien und Apulien im Süden – hatten die Bürger*innen direkt die Präsidenten und zugleich die Parlamente zu wählen. Ausschlaggebend ist jedoch das Votum für den Präsidenten: Wer vorne liegt, erhält im Regionalparlament einen Bonus, der ihm dort die absolute Mehrheit einräumt.

Linke Hochburgen gegen Rechts verteidigt

Vier der Regionen hatten bisher PD-Präsidenten, zwei wurden von der Rechten geführt. Doch der Lega-Chef Matteo Salvini hoffte auf der Basis der Meinungsumfragen, zu einem „5:1“-Resultat zu kommen und der PD die Marken, die Toskana und Apulien zu entreißen. Daraus wurde nichts. Überraschend klar konnte das Mitte-Links-Lager die Toskana mit 49 Prozent für seinen Kandidaten und Apulien mit 47 Prozent bei jeweils 8 Prozentpunkten Vorsprung vor den rechten Kontrahenten verteidigen. Die Marken dagegen gingen an das Salvini-Lager verloren, das sich zugleich über einen Erdrutschsieg im Veneto (77 Prozent!) und einen eindeutigen Erfolg in Ligurien freuen konnte. Der Mitte-Links-orientierten PD gelang es, die Toskana und Apulien zu halten, weil die eigenen Anhänger*innen mobilisiert wurden: In der Toskana stieg die Wahlbeteiligung von 48 Prozent (2015) auf jetzt 63 Prozent.

Das Mitte-Linkslager um die PD hat also keineswegs triumphiert, doch psychologisch wurde es zu einem unerwarteten Erfolg, dass der Vormarsch der Rechten (die mittlerweile 15 der 20 italienischen Regionen regiert) gebremst werden konnte. Von diesem Erfolg profitiert vor allem der PD-Vorsitzende Nicola Zingaretti. Mit leisen Tönen zielte er immer wieder auf Aus- gleich sowohl in der eigenen Partei als auch in der nationalen Regierungskoalition mit den Fünf Sternen unter Ministerpräsident Giuseppe Conte. Seine Rechnung ging auf, und alle jene in der PD, die schon an seiner Ablösung als angeblich zu blasser und gegenüber dem Koalitionspartner zu nachgiebiger Vorsitzender arbeiteten, werden ihre Bemühungen vorerst einstellen müssen.

Klare Niederlage für Matteo Renzi

Deutlich geschwächt ist auch ein mittlerweile externer Gegner Zingarettis und der PD: der frühere Ministerpräsident und PD-Vorsitzende Matteo Renzi, der vor einem Jahr aus der Partei ausscherte und die neue Formation „Italia viva“ (Lebendiges Italien“) ins Leben rief, die zwar zur Regierungskoalition gehört, die aber mit einem Macron-Kurs in aggressive Kon- kurrenz zur PD treten wollte. Bei den Regionalwahlen erwies die neue Partei sich als alles andere als lebendig, musste sie sich mit miserablen Resultaten von 1-3 Prozent bescheiden; nur in Renzis Heimatregion, der Toskana, reichte es für – ebenfalls mehr als bescheidene – 4,5 Prozent. Die Lust, Regierungskrisen oder gar Neuwahlen anzuzetteln, dürfte angesichts der Aussicht, nur noch mit einer Handvoll Abgeordneter ins Parlament einzuziehen, deutlich gemindert sein.

Gebeutelt geht auch das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) aus den Regional- wahlen hervor. Außer in Ligurien war es nicht zum Abschluss von Wahlallianzen mit der PD bereit, sondern zog es vor, alleine anzutreten, mit mehr als bescheidenen Resultaten: In Apulien zum Beispiel stürzten die Fünf Sterne von 45 Prozent bei den nationalen Parlamentswahlen 2018 auf nur noch 11 Prozent ab. Deshalb ist zu erwarten, dass in Zukunft die Stimmen in ihren Reihen, die für ein stabiles Bündnis mit der PD plädieren, lauter werden, da das M5S ansonsten Gefahr läuft, irrelevant zu werden oder gar den Vormarsch der Rechten per Spal- tung der Anti-Salvini-Kräfte zu fördern.

Regierung Conte in Rom stabilisiert

Für die Regierung wird die Pleite des M5S allerdings deshalb nicht zu einer unmittelbaren Gefahr, weil die Fünf Sterne andererseits den Erfolg des Verfassungsreferendum feiern können. Mit ihm sollte eine Verfassungsänderung angenommen - oder abgelehnt - werden, die eine Verringerung der Zahl der Parlamentarier*innen vorsah: von 630 auf 400 Sitze in der Abgeordnetenkammer und von 315 auf 200 im Senat.

Nur die als Anti-Establishment-Formation entstanden Fünf Sterne wollten wirklich diese Reform, die sie in ihren Kampf gegen die „politische Kaste“ einordnen. In den Regierungen zuerst mit Salvinis Lega (2018 – August 2019), dann mit der PD hatte das M5S die Verkleinerung des Parlaments zu einer zentralen Bedingung für den Abschluss der jeweiligen Ko- alitionen gemacht. Im Ergebnis stimmten am Ende so gut wie alle Parteien dem Schnitt zu, obwohl ihn außer dem M5S keiner so recht wollte. Deshalb mobilisierten die Fünf Sterne im Vorfeld des Referendums allein auf weiter Flur für die Reform. Dennoch sah die Volksabstimmung – gerade auch in Covid-Zeiten – mit 53 Prozent eine unerwartet hohe Beteiligung, mit knapp 70 Prozent Zustimmung ein eindeutiges Resultat.

Konflikt oder Kooperation?

Mit der PD ein Sieger, mit dem M5S wenigstens ein halber Sieger: Auf dieser Basis kann Ministerpräsident Giuseppe Conte den nächsten Monaten gelassener entgegenblicken. Doch Zingaretti hat schon deutlich gemacht, dass er in der Regierungspolitik stärker die Handschrift der PD erblicken will, vorneweg bei der Entscheidung über die Abrufung der 37 Milliarden Euro aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Das M5S lehnt den ESM bisher ab, weil das Instrument an die Zeiten der Troika in Europa erinnere. Ebenfalls wird die PD eine Revision der von der Vorgängerregierung aus M5S und Lega aufgelegten, migrantenfeindlichen „Sicherheitsdekrete“ des damaligen Innenministers Matteo Salvini vorantreiben. Auch dies dürfte für Reibungen in der Koalition sorgen. Die Regierung hat jetzt die Wahl: Sie kann auf diesen Feldern ebenso wie beim Einsatz der enormen Mittel des Recovery Fund (für Italien: 209 Milliarden Euro) durchstarten. Anderenfalls wird der jetzt er- rungene Erfolg gegen die Rechte Episode bleiben.

Autor*in
Michael Braun

ist promovierter Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der FES Rom.

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