Vor der Wahl: Wie Ungarns Medien für Orban „Gehirnwäsche“ betreiben
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Von Wahlkampf keine Spur, zumindest in den Medien – dabei wählen die Ungarn am kommenden Sonntag ein neues Parlament. Die Massenmedien würden einfach nicht darüber berichten, so Gabor Polyak vom Think Tank Mertek Media Monitor, der die medienpolitische Lage in Ungarn untersucht. Dies sei im Sinn der regierenden Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban, die keinen Wahlkampf machen wolle und nicht einmal ein Wahlprogramm erarbeitet habe.
Klare Vorgaben
Polyak beschrieb bei einer Veranstaltung von „Reporter ohne Grenzen“ in Berlin den Zustand der Presse in dem EU-Mitgliedsland. Demnach unterliegen sowohl private als auch öffentlich-rechtliche Sender der Kontrolle der Regierung. Zugleich gehöre ein Großteil der privaten Medien Oligarchen, die Fidesz nahe stünden. Die mehrheitlich regierungsfreundlichen Medien vertreten daher laut Polyak die Linie von Viktor Orban. „Das sind keine Journalisten, das sind Propagandisten.“ Deren einzige Aufgabe sei es, die Botschaft von Fidesz zu verbreiten.
„Als Journalist kann für diese Medien nur arbeiten, wer sich verbiegt, wer Berufsethos und Schamgefühl beiseitelässt“, sagt Stephan Ozsvath, langjähriger Südosteuropa-Korrespondent der ARD. Für die Berichterstattung hätten die Redaktionen zudem klare Vorgaben. So müssten in Artikeln beispielsweise bestimmte Stichwörter („linksliberal“, „Migration“) untergebracht werden. Themen, für die Fidesz kritisiert werden könnte, würden ganz ausgespart.
Ablenkung von Problemen
In der Presse wird laut Ozsvath hingegen das Narrativ von Viktor Orban aufgegriffen, demzufolge die Ungarn ständig einen Freiheitskampf im Stil von David gegen Goliath kämpfen müssten. Als übermächtige Sündenböcke müssten etwa die Europäische Union, der Internationale Währungsfond oder der ungarischstämmige Banker George Soros herhalten. Gerade der ungarisch-stämmige US-Milliardär – liberal, jüdisch und reich – werde von Orban instrumentalisiert, um Wähler zu gewinnen. Der Ministerpräsident wirft ihm vor, mit einem abstrusen Geheimplan Migranten ins Land holen zu wollen.
Offensichtlich erreicht die mediale Kampagne ihr Ziel. „Die Propaganda sinkt tief in das kollektive Bewusstsein ein“, beschreibt der ehemalige ARD-Reporter, der die Berichterstattung als „Gehirnwäsche“ beschreibt. Damit würden die Probleme überdeckt, die den Ungarn im Alltag unter den Nägeln brennen – etwa die Korruption im Gesundheitswesen oder die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Ungarn. Doch: „Wenn die Leute einen Gummiknüppel hingeworfen bekommen, nagen sie daran und vergessen das andere.“
Nur noch Rang 71
Bei dem Expertengespräch wurde klar, dass der Niedergang des ungarischen Journalismus eng mit einem Mediengesetz zusammenhängt, das 2010 vom Parlament beschlossen wurde. Damit wurden - neben den öffentlich-rechtlichen - auch die privaten Sender, Zeitungen und Internetportale gefügig gemacht. Daraufhin gaben viele Journalisten ihren Job auf oder wurden gefeuert. „Reporter ohne Grenzen“ wertete damals die Pressefreiheit in Ungarn auf Rang 23 in einem Ländervergleich, im vergangenen Jahr war es nur noch Platz 71.
Für das pressefeindliche Diktat der Regierung macht Stephan Ozsvath ein „Missverständnis“ hinsichtlich der Aufgabe von Journalisten verantwortlich. In der Regierungssicht gebe es nur zwei Arten von Journalisten – für uns und gegen uns. „Wer freundlich gesinnt ist, soll auch freundlich schreiben“, beschreibt der frühere Korrespondent Stephan Ozsvath. Das sei nichts anderes als Public Relations.
Briefe an die CSU
Entsprechend schwierig gestalte sich die Arbeit von kritischen Redaktionen, von denen es nur noch wenige gebe, so Polyak. Im Gegensatz zu regierungsfreundliche Medien werde ihnen der Zugang zu Informationen, Sendezeit und Werbekunden verwehrt. Dies bestätigt ARD-Reporter Ozsvath, der aufgrund seiner ungarischen Abstammung und seiner Rolle als Journalist von Fidesz-Vertretern als „Verräter“ betrachtet worden sei. Er berichtet etwa von extrem langsamen Reaktionen der Behörden auf Anfragen oder verwehrtem Zutritt zu Veranstaltungen.
Trotzdem enthüllten die investigativen Journalisten regelmäßig Skandale, in die Fidesz verwickelt sei, sagt Think-Tank-Leiter Gabor Polyak. „Die ständigen Skandale haben Einfluss auf die Popularität von Fidesz“, sagt er, auch wenn die Folgen für die kommende Wahl schwer einzuschätzen seien. Stephan Ozsvath geht davon aus, dass die Orban-Partei langfristig versuchen werde, alle Medien „mundtot“ zu machen. „Wir können am besten gegenhalten, wenn wir kritischen Journalismus unterstützen.“ Er schlägt vor, Geld an investigative Projekte zu spenden, zum Beispiel über Crowdfunding. Genauso könne man kritische Briefe an die CSU schicken. Mit diesem Vorschlag spielt er auf wohlwollende Verhältnis der Partei zu dem ungarischen Ministerpräsidenten an. Die Bayern laden Viktor Orban schließlich regelmäßig zu Parteiveranstaltungen nach Bayern ein.