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Von Gleichstellung bis Mindestlohn: So sieht ein soziales Europa aus

Die Pandemie hat die sozialpolitische Arbeit während der EU-Ratspräsidentschaft in diesem Jahr überschattet. Dennoch gibt es bemerkenswerte Erfolge, bilanzieren Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey
von Vera Rosigkeit · 16. Dezember 2020

Das hatte sich Hubertus Heil ­eigentlich anders vorgestellt. Mit einem ­Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene wollte er die ­Initiative für ein europäisches Lieferkettengesetz unterstützen. Doch während ein entsprechendes Gesetz in Deutschland bislang am Widerstand von CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Wirtschaftsverbänden scheitert, haben sich Anfang Dezember erstmals alle EU-Mitgliedstaaten auf die Ratsschlussfolgerungen „Menschenrechte und gute Arbeit in globalen Lieferketten“ verständigt.

Lieferkettengesetz und Mindestlohn

Für den Bundesarbeitsminister ein großer Erfolg. Denn „Kinderarbeit und menschenunwürdige Arbeitsbedingun­gen gehören im 21. Jahrhundert entschlossen bekämpft“, betont Heil. Als weltweit größter Binnenmarkt trage ­Europa eine besondere Verantwortung für gute Arbeit weltweit. Die Ratsschlussfolgerungen sei nun „Rückenwind“ für nationale Verhandlungen.

Um angemessene Löhne und soziale Sicherung geht es Heil bei seinem letzten Vorsitz im Rat europäischer Arbeits- und Sozialminister Anfang Dezember. Zwar sei Tarifbindung und Sozialpartnerschaft der „Königsweg zu fairen Löhnen und guten Arbeitsbedingungen“, doch sind sie zu schwach ausgeprägt, dann „braucht es Mindestlöhne als untere Haltelinie“, erklärt Heil. Den von EU-Kommissar Nicolas Schmit vorgelegten Vorschlag für eine EU-Richtlinie hält er für einen Riesenfortschritt. Es gehe nicht um den einen Mindestlohn, sondern um einen vernünftigen Rahmen, um in Europa zu unteren Haltelinien zu kommen, betont Heil.

Schutz für Plattform- und Saisonarbeiter*innen

Weiteres Thema: mehr Schutz für die immer größer werdende Zahl an Menschen, die auf Internet-Plattformen wie Uber oder ­Lieferando ihren Lebensunterhalt verdienen. Auf nationaler Ebene habe er Vorschläge gemacht, die EU-Kommission wolle das im kommenden Jahr tun. Zum Beispiel, wie Soloselbstständige in die Rentenversicherung einbezogen werden und sich organisieren können. Für Heil steht dieses Thema „sinnbildlich“ für die Frage, wie Europa die Chance nutze, mit Blick auf die Digitalisierung einen eigenen, souveränen Weg einzuschlagen.

Auch der Schutz der Rechte von Saisonarbeitern stand auf der Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Beschämt über die „furchtbaren Arbeitsbedingungen“ in der deutschen Fleischindustrie, sei es laut Heil an der Zeit, mit diesen Arbeitsverhältnissen grundlegend aufzuräumen. „Ausbeutung darf kein Geschäftsmodell sein“, betont er im Anschluss an ein Treffen der Arbeits- und Sozialminister Mitte Oktober. Vereinbart wurde, künftig unter dem Dach der EU-Arbeitsbehörde European Labour Authority (ELA) enger zu kooperieren. Beim selben Treffen wurde vereinbart, im Kampf gegen Armut einen europä­ischen Rahmen für Grund- und Mindestsicherungssysteme zu entwickeln. Denn, so Heil, Sozialstaaten müssten ein angemessenes Maß an Absicherung ­garantieren. „Niemand darf ins Bodenlose fallen.“

EU-weit gegen Gender-Pay-Gap

Erneuert wurde auch die Jugend­garantie gegen Arbeitslosigkeit. Nach der Finanz- und Euro-Krise ab 2010 habe diese Beschäftigungsgarantie die Jugendarbeitslosigkeit deutlich reduziert, sagt Heil. Künftig sollen junge Leute in Europa spätestens nach vier Monaten Arbeitslosigkeit ein Angebot ­bekommen – sei es ein Job, eine Ausbildung oder ­eine Qualifizierung.

Erfolg auch für mehr Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt. Federführend hier: Bundes­familienministerin Franziska Giffey. Alle Mitgliedstaaten haben die Ratsschlussfolgerungen zur Bekämpfung des Gender-Pay-Gaps beschlossen, erklärt sie. Es gehe um eine gerechtere Verteilung unbezahlter Sorgearbeit und bezahlter Erwerbsarbeit. Die habe Konsequenzen für Erwerbsleben, Karriere sowie die Lohn- und später Rentenlücke. „Kein leichter Weg“, betont Giffey. Denn Gleichberechtigung werde in Europa unterschiedlich gesehen. Ratsschlussfolgerungen seien kein verbindlicher Rechtsakt, doch seien sie Grundlage politischen Handelns.

„Wir hatten uns zu Beginn der Präsidentschaft viel vorgenommen, um uns dann in der Corona-Krise wiederzufinden“, bilanziert Heil. Trotzdem habe Europa einen guten Lauf gehabt. Man sei ein gutes Stück vorangekommen. „Damit das so bleibt, möchte ich der kommenden portugiesischen Ratspräsidentschaft schon jetzt meine volle Unterstützung anbieten“, resümiert Hubertus Heil.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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