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Von den USA lernen: Neue Jobs schaffen, um die Demokratie zu sichern

Geopolitisch hat sich durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den Aufstieg Chinas einiges verschoben. Umso wichtiger ist die industriepolitische Kooperation zwischen Europa und den USA, meint der SPD-Politiker Thomas Losse-Müller.
von Jonas Jordan · 5. April 2023
Vor dem Weißen Haus in Washington (v.l.): Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Schleswig-Holstein, Thomas Losse-Müller, mit seiner Stellvertreterin Sophia Schiebe und dem Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung, Knut Dethlefsen.
Vor dem Weißen Haus in Washington (v.l.): Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Schleswig-Holstein, Thomas Losse-Müller, mit seiner Stellvertreterin Sophia Schiebe und dem Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung, Knut Dethlefsen.

72 Prozent der Weltbevölkerung leben in Autokratien. Dass die Demokratie fragil ist, haben nicht zuletzt die Wahlerfolge von Donald Trump in den USA und Jair Bolsonaro in Brasilien gezeigt. Um sie langfristig zu sichern, braucht es daher auch klare Antworten, wie die wirtschaftliche Transformation in den kommenden Jahren gelingen kann, meint der SPD-Politiker Thomas Losse-Müller. Er ist SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Schleswig-Holstein und hat sich während einer Reise in der vergangenen Woche von der Entwicklung in den USA überzeugt. Losse-Müller spricht von einer „sehr bewussten Entscheidung“ der Regierung von Joe Biden, in das Thema grüne Industrie und industrielle Transformation zu investieren.

Gleichzeitig müsse man verstehen, warum die Demokrat*innen so eine Politik machen. So stehe beim Inflation Reduction Act nicht die Inflationsbekämpfung im Vordergrund. Vielmehr gehe es vor allem darum, „dass neue Jobs in der Industrie in den USA entstehen sollen“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende aus Schleswig-Holstein im Gespräch mit dem „vorwärts“. Das Kalkül der Demokrat*innen sei, durch neue Arbeitsplätze enttäuschte Wähler*innen von den Republikaner*innen zurückzugewinnen. „Sie gehen davon aus, dass das Überleben der Demokratie in den USA und die Möglichkeit, sich gegen sich immer weiter radikalisierende Republikaner politisch durchzusetzen, darin liegt, gute Industriearbeitsplätze zu schaffen“, sagt Losse-Müller.

Industriepolitik als Demokratiesicherung

Damit verbunden sei auch eine wichtige Erkenntnis für Europa, sagt er und fügt an: „Wenn es den Demokraten nicht gelingt, mit dem Fokus auf sozialpartnerschaftlich abgesicherte Jobs in Gebieten wie Pittsburgh, dem Rustbelt und West Virginia eine neue ökonomische Basis zu legen und stattdessen alle Wähler in die Radikalisierung von Trump abdriften, können wir es total vergessen, in einer demokratischen, freihandelsorientierten Welt zu leben. Das ist ein Punkt, den wir in Europa noch nicht gut verstanden haben“, meint Losse-Müller.

Wichtig sei daher, in Europa eine passende wirtschftspolitische Antwort auf den Inflation Reduction Act zu finden. Auch um eine ähnliche Deindustrialisierung, wie sie die USA in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts erlebt haben, hierzulande zu verhindern. „Für uns muss das eine Lehre sein, dass wir das gar nicht erst zulassen dürfen“, sagt Losse-Müller und spricht in diesem Zusammenhang auch die gesellschaftliche Spaltung an, die die USA derzeit erleben. Insofern sei es wichtig, jetzt darauf zu gucken, „wie wir energieintensive Industrien in Deutschland halten und klimaneutral machen“, sagt er und nennt beispielhaft die Stahlindustrie und die Chemie-, Papier- und Zement-Branchen.

Schulterschluss mit den USA gegen China

Als positives Beispiel im Umgang mit diesen Herausforderungen nennt er die Politik der SPD-Alleinregierung im Saarland, die mit ihrem drei Milliarden Euro schweren Transformationsfonds die notwendigen Voraussetzungen für Firmenansiedlungen geschaffen habe. Ähnliches fordert er auch für Schleswig-Holstein: „Wenn wir Industrieland sein wollen, was das erklärte Ziel aller Parteien ist, müssen wir uns auch so aufstellen, dass wir das können, dass wir Ansiedlungen organisieren können. Wir können nicht nur hoffen, dass Berlin und Brüssel die Rechnungen zahlen, wenn sich Firmen hier ansiedeln. Das Saarland macht das sehr viel besser als Schleswig-Holstein.“

Das Land müsse bereit sein zu investieren. Denn Losse-Müller ist überzeugt: „Die Entscheidungen, wo sich die Industrien der Zukunft ansiedeln, fallen in den nächsten fünf Jahren. Deswegen müssen wir den USA etwas entgegensetzen.“ Als noch wichtiger erachtet er jedoch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA, gerade angesichts von Chinas stetig wachsendem Einfluss im Welthandel. „Wir brauchen eine gemeinsame transatlantische Industriepolitik“, sagt er. Denn in den USA sei bereits von einem neuen Kalten Krieg mit China die Rede. Angesichts dessen müssten sich Deutschland und Europa sehr klar positionieren.

„Der beste Weg, unseren Wohlstand zu sichern“

„Wir leben in einer neuen geopolitischen Konfrontation. Wir müssen in Europa sicherstellen, dass wir souverän handeln können, wirtschaftspolitisch wie militärisch. Da haben wir große Hausaufgaben vor uns, aber wir brauchen auch den Schulterschluss mit den USA“, fordert Losse-Müller. Er ist der Ansicht, dass in den zurückliegenden Jahren der Fokus in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu sehr auf handelspolitischen Fragen gelegen habe. Er halte es für vielversprechender, in der Frage der Neuorganisation von Lieferketten, der Restrukturierung der globalen Wirtschaft und der Rückverlagerung von Industrieprozessen nach Europa und in die USA sowie der klimaneutralen Transformation der Wirtschaft eine gemeinsame Industriepolitik zu betreiben. „Darauf würde ich das Augenmerk legen, weil das der beste Weg ist, unseren Wohlstand zu sichern“, sagt der SPD-Politiker.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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