Völkermord an den Armeniern betrifft auch Deutschland
Die vergangenen Ereignisse müssen immer noch verarbeitet werden, deshalb braucht es einen aufrichtigen und ernsthaften Dialog zwischen der Türkei und Armenien, um Wege zu einer Aussöhnung zu finden. Bereits vor zehn Jahren, im Juni 2005, gab es einen Entschließungsantrag des Deutschen Bundestags (Drucksache 15/5689), der das Ziel verfolgte zum Versöhnungsprozess der Türken und Armenier beizutragen. Deutschland trägt dabei eine große historische Verantwortung und muss die türkische Regierung dabei unterstützen, sich offen mit den damaligen Vertreibungen und Massakern auseinanderzusetzen.
Rolle des Deutschen Reichs muss erforscht werden
Das Deutsche Reich galt als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs und war über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier im Bilde. Damals wurden keine Versuche vorgenommen, gegen diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorzugehen. Spätestens heute müssen wir Verantwortung übernehmen und soweit wie möglich zur Aufarbeitung der Verbrechen beitragen. Auch muss die damalige Rolle des Deutschen Reichs weiter erforscht und bewertet werden.
Eine Aufarbeitung der Geschichte und der damaligen Geschehnisse ist unumgänglich. Es ist richtig und wichtig, dass sich die Bundesregierung dafür mit Nachdruck einsetzt. Wir sollten zur dauerhaften Versöhnung des türkischen und armenischen Volkes beitragen. Auch wenn dies schmerzhaft und langwierig ist. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, Unterstützung bereitzustellen und zu signalisieren. Projekte des Dialogs und des Austausches sollen zur Annäherung der Türkei und Armeniens gefördert werden. Wir brauchen Wege, die zur Verständigung und Versöhnung der beiden Länder beitragen. Hierfür müssen alle Ereignisse aufgeklärt werden. Wissenschaftler und Journalisten in der Türkei müssen ohne Angst vor Repressionen arbeiten können.
Begriff des Völkermordes ist richtig
Die bilateralen Beziehungen der beiden Länder müssen fortgeführt werden. Dazu ermutigen wir türkische und armenische Regierungsvertreter, die laufenden Gespräche nicht abbrechen zu lassen. Im Deutschen Bundestag wird dazu ein neuer Antrag beraten und ich befürworte, dass zu diesem Zeitpunkt der Begriff des Völkermordes eingeführt wird, der in der Vergangenheit häufig vermieden wurde, obwohl zahlreiche Historiker, Parlamente und internationale Organisationen die größte und folgenschwerste Katastrophe des armenischen Volkes als solchen bezeichneten. Dabei bedeutet die Verwendung des Begriffs Völkermord in diesem Zusammenhang unter keinen Umständen eine Relativierung des Holocaust, für den in seiner Einzigartigkeit Deutschland Schuld und Verantwortung trägt.
Weiter kann und darf die Entschließung zu einer abgeschlossenen Begriffsfindung nicht das Ende der deutschen Bemühungen um ein besseres Verhältnis der Staaten sein. Ohne die Türkei vor den Kopf stoßen zu wollen, bin ich der Ansicht, dass die Türkei die Geschehnisse als Völkermord anerkennen sollte, da dem Versöhnungsprozess sonst Steine in den Weg gelegt werden. Es gibt keinerlei Rechtfertigung oder Verharmlosung für die Geschehnisse. Wichtig ist im Verarbeitungsprozess auch, dass die heutige türkische Regierung und Bevölkerung keinerlei Schuld an den Taten trägt, die im Osmanischen Reich begangen wurden. Aber die Türkei trägt die Verantwortung für die Zukunft!
Türkei bei Aufarbeitung unterstützen
Weiter unterstütze ich die Aufarbeitung als Teil der internationalen politischen Bildung. Ich bekräftige die wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und kulturelle Förderung von Aktivitäten, die im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel möglich sind und dem Austausch sowie der Annährung der Türkei und Armeniens dienen. Wir begrüßen alle Initiativen zur Aufarbeitung. Deutschland sollte auch dafür eintreten, dass die Pflege des armenischen Kultur-Erbes in der Republik Türkei fortgesetzt und intensiviert wird. In Gegenwart und Zukunft ist eine vollständige und konstruktive Aufarbeitung der Vertreibungen und Vernichtungen nötig, um Spannungen zwischen den Ländern sowie Misstrauen abzubauen.
Auch für die Stabilisierung im Kaukasus ist eine Entspannung der Beziehungen zwischen Türken und Armeniern von Bedeutung. Für die Identität des armenischen Volks ist die Aufarbeitung der Vertreibungen und Massaker von zentraler Bedeutung. Die Vergangenheitsbewältigung kann nicht oktroyiert werden, jedoch muss ein öffentlicher und auch kritischer Diskurs möglich sein. Für ein zukünftiges friedliches Zusammenleben von Türken und Armeniern sollten historische Vorurteile und Feindbilder aus der Welt geschafft werden.
Gedenken an mehr als eine Million Armenier
Deutschland muss sich gerade anlässlich des 100. Gedenktages auf eine öffentliche Auseinandersetzung des Genozids an den Armeniern 1915/16 und die Rolle des Deutschen Reichs einlassen. Nur so können wir offen und ehrlich zu einer Versöhnung zwischen der Türkei und Armenien beitragen. Aus diesem Grunde unterstütze ich den Bundestagsantrag zur Erinnerung und zum Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren. Geehrt werden müssen immer wieder diejenigen, die sich damals unter schwierigen Umständen in vielfältiger Weise für die Rettung von armenischen Frauen, Kindern und Männern eingesetzt haben. Mit dem Bundestagsantrag gedenken wir ebenso den mehr als eine Million Armeniern, die dem Genozid zum Opfer gefallen sind. Den Anlass des Gedenkjahres sollten wir weiter nutzen, um grenzüberschreitende Begegnungsprojekte beispielsweise im Rahmen von kulturellen Veranstaltungen und Workshops für Studierende zu fördern.
ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt.