Vietnam gegen Corona: Das Virus kehrt zurück
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Nach dem Ausbruch der Epidemie in Wuhan verzeichnete Vietnam trotz der geographischen Nähe zu China bis Ende Februar lediglich 16 Infektionen. Die Regierung reagierte sehr rasch und konsequent mit der Schließung von Schulen, Kindergärten und Universitäten, der Absage von Großveranstaltungen sowie erhöhten Kontrollen an Grenzen und Flughäfen. Damit konnte zunächst ein großflächiger Ausbruch verhindert werden. Die WHO lobte den vorbildlichen Umgang Vietnams mit dem Virus. 22 Tage lang wurden keine Neuinfektionen registriert, alle 16 Patienten konnten gesund entlassen werden.
Anfang März brachte eine aus Europa zurückkehrende Passagierin das Virus nach Vietnam zurück. Wie zu erwarten war, zog dies Neuinfektionen nach sich. Seitdem häuft sich die Zahl der über den Reiseverkehr ins Land gebrachten Fälle. Nach offiziellen Angaben beläuft sich die Zahl der Infizierten aktuell auf 61 (Stand 17.03.), eine im regionalen Vergleich zwar noch relativ geringe Fallzahl, die aber in den kommenden Wochen rasch ansteigen könnte. Die Anzeichen, dass das Ausbruchsgeschehen in Vietnam zunehmend unübersichtlicher wird, verdichten sich schnell.
Nach zweitem Ausbruch: Zwangsquarantäne für Einreisende
Mit dem neuen Ausbruch hat Vietnam die Vorsichtsmaßnahmen nach innen und nach außen nochmal verschärft und wird weiter sehr entschieden vorgehen. Galt das Einreiseverbot anfangs nur für Reisende aus China und Südkorea, wurde mit dem Ausbruch des Virus in Europa zunächst die Visafreiheit für EU-Bürgerinnen und -Bürger ausgesetzt und wenige Tage später schließlich ein vollständiges Einreiseverbot verhängt. Personen, die über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügen und aus einer Krisenregion inklusive des Schengenraums kommen, dürfen zwar ins Land zurück, werden aber bei Ankunft in eine 14-tägige Zwangsquarantäne genommen.
Im Inneren haben vietnamesische Behörden einzelne Gebiete und Straßen mit Infektionsfällen komplett abgeriegelt. Haupttouristenattraktionen wie die Halong-Bucht sind mittlerweile geschlossen, die Boote bleiben im Hafen. Personen, die in Kontakt mit Infizierten waren, werden landesweit aufgespürt und unter Quarantäne gestellt. Wie lange die Behörden dies bei steigenden Fallzahlen noch leisten können, ist fraglich. Auch in Hanoi wurden ganze Wohnblöcke abgeriegelt und großflächig desinfiziert. Ein „lockdown“ der Hauptstadt wurde bislang jedoch nicht verkündet, aber Vorbereitungsmaßnahmen werden getroffen. In Ho Chi Minh Stadt wurden Hotels, Restaurants, (Karaoke-)Bars und Diskotheken geschlossen.
Feldlazarette, Notfallteams und Infekt-App
Die vietnamesische Regierung bereitet sich auf den Ernstfall vor: Feldlazarette mit tausenden Betten stehen bereit, Notfallteams sind im ganzen Land unterwegs und Hotlines wurden eingerichtet. Zudem wurde eine App entwickelt, in der Infektionsfälle geographisch verzeichnet sind und die Bürger aufgerufen werden, ihren Gesundheitszustand mitzuteilen. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die soziale Kontrolle, die beispielsweise durch Nachbarschaftskommittees ausgeübt wird.
Mit dem erneuten Ausbruch des Virus kam es auch in Vietnam kurzzeitig zum Run auf die Supermärkte. Premierminister Phuc hat jedoch angewiesen, die Vorräte aufzustocken und es damit geschafft, die Lage wieder zu beruhigen. Im öffentlichen Raum sind Menschen nur noch mit Masken unterwegs und auch der Zutritt zum Supermarkt ist mancherorts ohne solche nicht mehr gestattet. Die sonst so vollen und geschäftigen Straßen Hanois sind wie leergefegt, Cafés und Restaurants sind nur noch wenig besucht und die meisten Menschen bleiben zu Hause.
Digitaler Kampf gegen Fake-News und Rassismus
Aufgrund der Schulschließungen versuchen Eltern bereits seit Anfang Februar, die fehlende Kinderbetreuung zu kompensieren und entsprechend sind alle Familienmitglieder stark eingespannt. In den sozialen Netzwerken kochten zu Beginn schnell anti-chinesische Ressentiments hoch. In kürzester Zeit waren Klarname und Adresse der aus Europa zurückgekehrten Vietnamesin öffentlich, über die eine Flut von Verwünschungen hereinbrach. Gleichzeitig droht die Regierung mit hohen Strafzahlungen bei Verbreitung von Falschnachrichten.
Die wirtschaftlichen Folgen sind für das Land bisher noch kaum überschaubar. Ausbleibende Lieferungen haben bereits seit Wochen stark negative Konsequenzen für die Wertschöpfungsketten. Klar ist, dass Vietnam seine selbstgesteckte Zielmarke von 6,8 Prozent Wirtschaftswachstum 2020 nicht erreichen wird und mit schmerzhaften Einbuβen rechnen muss. Laut einer jüngsten Umfrage müssten 74 Prozent von 1 200 befragten Unternehmen den Bankrott erklären, sollte die Epidemie weitere 6 Monate anhalten. Am stärksten betroffen sind neben Kleinst-, Klein- und mittelständischen Unternehmen vor allem die Tourismusbranche sowie der Elektronik- und Textilsektor, deren Lieferketten eng mit China verbunden sind. Hotels können schon jetzt ihre Angestellten nicht mehr bezahlen und müssen diese entlassen oder in den unbezahlten Urlaub schicken. Auch die vietnamesische Börse erlebt analog zur weltweiten Entwicklung eine rasante Talfahrt.
Von Claudia Ehing und Axel Blaschke, Friedrich-Ebert-Stiftung in Hanoi
Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal am 16. März.