Verlockungen vom rechten Rand
Bei den Europaparlamentswahlen im vergangenen Jahr haben rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in zahlreichen Ländern zweistellige Wahlergebnisse erzielt. In Frankreich erhielt der rechtsextreme Front National 25 Prozent der Stimmen, die EU-skeptische UKIP kam in Großbritannien auf 28 Prozent. In Deutschland konnte die neu gegründete „Alternative für Deutschland“ (AfD) gut sieben Prozent der Stimmen für sich verbuchen. Die Ergebnisse wurden als politisches Erdbeben wahrgenommen.
Cas Mudde, der als Associate Professor an der University of Georgia (USA) zu Extremismus und Populismus forscht, widerspricht der öffentlichen Wahrnehmung eines politischen Erdbebens nach der Wahl, denn: „Die Europaparlamentswahlen sind für die EU-Politik an sich nicht extrem relevant. Wichtige Beschlüsse werden vor allem im Europäischen Rat und der Europäischen Kommission getroffen, die von den nationalen Wahlen abhängen. Auf nationaler Ebene waren die rechtspopulistischen Parteien aber nicht sehr erfolgreich.“ Zudem seien die Bündnisverhandlungen der rechtspopulistischen Parteien im Europaparlament gescheitert, eine eigene Koalition konnte somit nicht gegründet werden, sagte Mudde.
Weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit
Entscheidend sei für ihn, dass die große Mehrheit der EU-Bürger nicht für rechtspopulistische Parteien gestimmt hat: „Die meisten Menschen in Europa befürworten nachdrücklich die liberale Demokratie. Trotzdem sind Fremdenfeindlichkeit, Autoritarismus und Anti-Establishment-Ressentiments weit verbreitet. Die rechtspopulistischen Parteien haben diese Einstellungen nur aufgegriffen.“ Die Grundwerte des Rechtspopulismus werden laut Mudde von einer großen Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Der Forscher nennt dies den „pathologischen Normalzustand“. Rechtspopulistische Parteien würden die Vorstellungen des Mainstreams nur radikal interpretieren und umsetzen.
Doch welche Werte vertreten eigentlich Rechtspopulisten? Laut Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld und Autor der FES-Studie „Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014“, definiert sich Rechtspopulismus zum einen über die Haltung „Wir gegen die anderen“, zum anderen über die Einstellung „Die kleinen Leute unten, die politische Klasse oben“. Weitere Merkmale des Rechtspopulismus sind laut Zick eine autoritäre Orientierung, Fremdenfeindlichkeit gegenüber Zuwanderern und geflüchteten Menschen, Antisemitismus, Antiziganismus und Politikverdrossenheit. Problematisch sei, dass Rechtspopulisten den Menschen scheinbar einfache Lösungen für sehr komplexe Themen anböten.
Warnung vor Regierungsbeteilung von Rechtspopulisten
In Zeiten, in denen immer mehr Menschen in Europa an der Demokratie zweifelten, negative Einstellungen gegenüber der EU pflegten und die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegenüber Muslimen ansteige, sei dies verlockend. Zick bemängelte in diesem Zusammenhang, dass die EU es nicht geschafft habe, den Menschen eine gemeinsame Wertebasis zu vermitteln. Offenkundig werde dies angesichts der steigenden Anzahl von Flüchtlingen in der EU. Ihnen würde wenig Solidarität entgegen gebracht, sagte Zick. Und rechtspopulistische Parteien zögen aus dieser feindlichen Stimmung ihren Nutzen. In Deutschland sieht Zick vor allem die Rolle der AfD aufgrund ihrer negativen Einstellung Flüchtlingen gegenüber als problematisch. Laut Zicks Studien haben Sympathisanten der AfD die stärksten rechtsextremen Einstellungen.
Wie aber können etablierte Parteien auf dieses komplexe Problem reagieren? Hajo Funke, Professor für Politische Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und einer der profiliertesten Rechtsextremismusexperten Deutschlands, warnt davor, sich zu wenig mit den Rechtspopulisten auseinanderzusetzen. Eine mögliche Regierungsbeteiligung rechtspopulistischer Parteien lehnt er strikt ab. Laut Funke sollten Politiker stärker als bisher auf die Ängste und Sorgen der Bevölkerung angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen in Europa eingehen. Ansonsten könnten rechtspopulistische Parteien gezielt Ängste aufgreifen und damit Politik betreiben. Auf keinen Fall sollten die etablierten Parteien Ressentiments gegenüber Flüchtlingen mobilisieren, sagte Funke. Stattdessen sei eine solidarische europäische Flüchtlingspolitik gefragt.
Mittel gegen Rechtspopulismus
Auch Cas Mudde plädierte für eine bessere Flüchtlingspolitik, die die Sorgen der Wähler ernst nimmt: „Wir beobachten, dass Politiker der etablierten Parteien zunehmend intolerante Meinungen der Bevölkerung aufgreifen. Stattdessen sollten sie den Wählern vermitteln, dass sie das Flüchtlingsproblem gut lösen können. Das nimmt den Leuten die Ängste.“
Als Gegenmittel zum Rechtspopulismus forderte Funke eine „responsive Demokratie“ und eine „Kultur der politischen und ethnischen Vielfalt“. Niemand dürfe sozial ausgegrenzt werden, denn dadurch entstünden Ohnmachtserfahrungen und Politikverdrossenheit, die die Menschen anfälliger für die Slogans rechtspopulistischer Parteien machten.