Verdun ist für Martin Schulz eine Mahnung an die Mächtigen
Dirk Bleicker
Verdun und die Schlacht um diese Stadt beschäftigen Martin Schulz seit Jahren. 1981, mit 26 Jahren, war er das erste Mal hier. Seitdem ist er etwa 40 Mal zurückgekommen an den Ort, der wie kein anderer den Wahnsinn des gnadenlosen Stellungskrieges im Ersten Weltkrieg und den Irrsinn von Krieg überhaupt symbolisiert. Schulz kennt sich aus in Verdun, Verwandte von ihm waren in dieser Schlacht. „Es berührt mich immer zutiefst, wenn ich hier bin“, sagt er.
Verdun und die Krise der EU
Anlässlich des Europatages am 9. Mai trifft er sich mit jungen Männern und Frauen aus den verschiedensten europäischen Ländern. Sie reden französisch miteinander, Schulz spricht mit ihnen über diesen Ort, über Macht, die Folgen dessen Missbrauches. “Wie gehen wir 100 Jahre später und angesichts der Krise der EU damit um?” ist die Frage, die ihn umtreibt.
Der Kampf für Europa und für Frieden auf dem Kontinent ist ihm umso wichtiger, seit Rechtspopulisten und Ultranationalisten sich wieder in Europa breitmachen. Schulz kämpft dafür, die richtigen Konsequenzen aus der Vergangenheit zu ziehen. Dabei ist es ihm ein großes Anliegen, junge Menschen von der Notwendigkeit eines vereinten Europas und der Bedeutung der Freundschaft zwischen den Ländern zu überzeugen.
Verwüstete Landschaft
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Veranstaltung organisiert, als Martin Schulz noch lange nicht Kanzlerkandidat und SPD-Vorsitzender, sondern Präsident des Europäischen Parlamentes war. Er behält den Termin auch in seinen neuen Funktionen bei, obwohl dieser zwischen zwei wichtigen Landtagswahlen liegt.
Mehr als 300.000 Menschen sind zwischen Februar und Dezember 1916 bei der Schlacht von Verdun ermordet worden. Erstmals wurden Gas und andere moderne Militärtechniken des 20. Jahrhunderts eingesetzt. Die Schlacht von Verdun gilt als die erste und eine der größten „Materialschlachten“ dieses Jahrhunderts. Neun französische Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, die Landschaft umgepflügt. Und obwohl der zuständige deutsche Befehlshaber schon nach zwei Monaten erkannt haben muss, dass seine Strategie, auf diese Weise in Frankreich Gelände gutzumachen, nicht funktionierte, ließ er weiterkämpfen. Im Dezember 2016 waren fast alle deutschen Geländegewinne zurückerobert worden. Zurück blieben im wahrsten Sinne des Wortes Berge von Leichen.
Wichtiger Ort der Erinnerung
Diese liegen im Kellergewölbe des Beinhauses von Douaumont, einem der Dörfer, die von den Deutschen ausgelöscht worden sind: Kubikmeter von Knochen und Schädeln, Überreste namenloser Kriegesopfer. „Die Erinnerungskultur ändern zu wollen, ist gefährlich, und gefährlich sind alle die, die versuchen, das zu tun“, sagt Schulz im Hinblick auf rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien und Strömungen in Europa wie der AfD. Die jungen Leute hören ihm auf dem Weg zu den Gräberfeldern aufmerksam zu. Die Landschaft ist bis heute geprägt von der zehn Monate dauernden Schlacht. „Verdun war einst Symbol des Krieges, heute ist es Symbol des Friedens“, so der SPD-Vorsitzende.
Verdun, „der dramatische Ort der Konfrontation zwischen unseren Nationen“ sei in zweierlei Hinsicht ein wichtiger Ort der Erinnerung. Zum einen zeigten die ehemaligen Schlachtfelder und Gedenkstätten, wie wichtig es sei, für den Frieden zu kämpfen. Zum anderen aber sei Verdun auch ein mahnender Ort für Mächtige: „Verdun ist ein Ort für all diejenigen, die Macht haben und die Macht anstreben, sich darüber klar zu werden, was passiert, wenn man Macht missbraucht“, sagte Schulz. „Dann zahlen Menschen häufig mit ihrem Leben.“
Nachdenkliche Jugendliche
Die aktuelle Krise Europas beunruhigt auch die jungen Frauen und Männer. Wir wollen unsere freiheitlichen Werte erhalten, betonen sie, während sie mit Schulz das ehemalige Schlachtfeld und die Gedenkstätten besuchen. „Was können wir tun?“ „Ihr müsst mit dafür sorgen, dass Europa überlebt. Auf euch kommt es jetzt an”, sagt Schulz und verweist auf die Bedeutung der europäischen Integration und auf die des Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich für Europa. „Ohne die guten deutsch-französischen Beziehungen wäre Europa verloren.“ Er werde als Bundeskanzler Europa weiter „verändern und verbessern“, betont Schulz und sieht sich dabei auf einer Linie mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Auch wenn die jungen Männer und Frauen, ergriffen von den gewonnenen Eindrücken, den SPD-Vorsitzenden eher nachdenklich begleiten, ist ihre Schlussfolgerung klar: „Ich bin tief davon berührt, wie Martin Schulz die Relevanz zeigt, die das heute alles noch hat“, sagt der 28-jährige Kölner Maximilian Krahé am Ende. „Schulz’ Glaubwürdigkeit im Hinblick auf Europa und dessen Werte sowie sein Gespür für Gerechtigkeit haben mich tief beeindruckt.“
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.