USA: So erklärt sich der überraschende Ausgang der Midterm-Wahlen
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US-Präsident Joe Biden und den Demokraten ist bei den Zwischenwahlen ein historisch gutes Ergebnis gelungen - das beste seit 20 Jahren für eine Partei, die gleichzeitig den Präsidenten stellt. Sie haben es geschafft, die Koalition von Wähler*innen zusammenzuhalten, die Biden in der Wahl im Herbst 2020 ins Weiße Haus gebracht hatte.
Historisch gesehen muss die Partei des amtierenden Präsidenten bei den Zwischenwahlen meist empfindliche Niederlagen hinnehmen. Das konnten die Demokraten verhindern. Obwohl die Mehrheit der Amerikaner*innen die wirtschaftliche Lage als persönlich nicht gut wahrnimmt und die US-Wirtschaft seit Monaten mit einer historisch hohen Inflation zu kämpfen hat, blieb die von den Republikanern viel beschworene “rote Welle” aus.
Knappe Mehrheit der Republikaner
Zwar ist die Stimmenauszählung in einigen Bundesstaaten noch nicht beendet, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Republikaner eine knappe Mehrheit im Abgeordnetenhaus erlangen werden. 435 Sitze umfasst das Abgeordnetenhaus. Stand Donnerstagmorgen Ostküstenzeit konnten die Demokraten 191 Sitze und die Republikaner 209 Sitze gewinnen. Prognosen zufolge werden die Republikaner am Ende vermutlich nur vier bis fünf Sitze mehr haben als die Demokraten. Der historische Durchschnitt nach Midterms liegt bei einer Mehrheit von 33 Sitzen für die Partei, die nicht den Präsidenten stellt.
Die Demokraten haben viele umkämpfte Sitze erfolgreich verteidigt. Anfang des Jahres war noch von einer klaren republikanischen Mehrheit von 60 Sitzen die Rede und der Anführer der Republikaner im Abgeordnetenhaus, Kevin McCarthy, sprach in den letzten Tagen noch von einer sicheren Mehrheit von mehr als 20 Sitzen.
Demokraten haben gut mobilisiert
Offensichtlich haben die Republikaner ihr Potential überschätzt, die Mobilisierung auf Seiten der Demokraten und gerade bei Wählerinnen unterschätzt und die falschen Prioritäten gesetzt. Die Demokraten alleine für die Inflation verantwortlich zu machen, ohne selbst wirtschafts- oder fiskalpolitische Lösungen anzubieten, hat sich nicht ausgezahlt.
Dazu haben die Republikaner in vielen Fällen auf die falschen Kandidaten gesetzt. Trump unterstützte bei den Republikanischen Vorwahlen unerfahrene und teilweise sehr radikale Kandidat*innen und diese schnitten oft schlechter ab als erwartet. Die Qualität der Kandidierenden spielte eine ebenso große Rolle wie die Themen, was unter anderem dadurch deutlich wird, dass republikanische Kandidaten, die im selben Bundesstaat antraten, unterschiedliche Ergebnisse einfuhren. So der Gouverneur in Georgia, Brian Kemp, der mit mehr als sieben Prozentpunkten Vorsprung gewann, während der Senatskandidat Herschel Walker hinter dem demokratischen Amtsinhaber Raphael Warnock liegt und in die Stichwahl muss. Moderate demokratische Kandidat*innen wie Abigail Spanberger (Virginia), Elisa Slotkin (Michigan), Jennifer Wexton(Virginia) und auch Nancy Pelosis Verbündete Marcy Kaptur (Ohio) konnten ihre Wahlkreise verteidigen und haben so eine größere Niederlage ihrer Partei im Abgeordnetenhaus verhindert.
Enges Rennen schafft Probleme
Die knappe Mehrheit stellt beide Parteien vor Probleme. Für die Demokraten wird es deutlich schwieriger, ohne die Mehrheit im Repräsentantenhaus ihre Agenda durchzusetzen. Die Republikaner - und insbesondere der künftige Mehrheitsführer - stehen vor der Herausforderung, die radikalen und gemäßigten Abgeordneten hinter der knappen Mehrheit zu versammeln und eine Agenda zu gestalten, die beide Lager zufriedenstellt. Auch kann der nur knappe Vorsprung der Republikaner in den kommenden zwei Jahren dazu führen, dass die Mehrheitsverhältnisse wechseln, etwa wenn ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete in Rente geht, zurücktritt oder stirbt.
Das Rennen um den Senat ist ebenfalls sehr knapp. Wer die Mehrheit im Senat gewinnen wird, hängt jetzt von den Ergebnissen in den Bundesstaaten Nevada, Arizona und Georgia ab. Die Voraussagen am Donnerstagmorgen Ostküstenzeit deuten darauf hin, dass die Republikaner Nevada und die Demokraten Arizona gewinnen werden.
Demokraten hoffen auf Mehrheit im Senat
In diesem Fall käme es für beide Parteien auf den Staat Georgia an, wo weder der Pastor und Demokrat Raphael Warnock noch sein republikanischer Herausforderer Herschel Walker 50 Prozent der abgegebenen Stimmen erlangen konnten, weshalb es nun zur Stichwahl am 6. Dezember kommen wird. Gewinnt Warnock die Stichwahl im Dezember, können die Demokraten wahrscheinlich das Patt im Senat verteidigen, das ihnen aber mit der Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris die knappste aller Mehrheiten gibt. Aber auch ein Ergebnis von 51:49 ist für die Demokraten noch drin, sollte ihnen doch noch ein Sieg in Nevada gelingen.
Ein großer Erfolg für die Demokraten ist bereits jetzt die Wahl von John Fettermann zum Senator in Pennsylvania. Wie Joe Biden gelang es auch Fettermann, weiße Arbeitnehmer*innen zu gewinnen und sie von den Demokraten zu überzeugen. Dazu spielte seine gesundheitliche Abgeschlagenheit aufgrund eines Schlaganfalls im Mai eher eine motivierende Rolle für die Demokraten. US-Wähler*innen mögen kämpferische Typen, die sich nicht unterkriegen lassen und nach einer Niederlage aufstehen und weitermachen.
Ohio kein „Swing State” mehr
Dass Tim Ryan in Ohio mit einem inhaltlich ebenso starken Wahlkampf, der auf Arbeitnehmer*innen und ihre Sorgen zugeschnitten war, nicht ebenso punkten konnte, deutet darauf hin, dass Ohio in den letzten Jahren konservativer geworden ist. Der einstige „Swing State” ist jetzt eher eine sichere Bank für die Republikaner.
Auch bei den Gouverneurswahlen haben die Demokraten gut abgeschnitten. Intensiv beobachtete Rennen in New York, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin gingen an die Demokraten. Das ist für die Zertifizierung von Wahlergebnissen gegen den Widerstand von Wahlleugnern wichtig und wird hoffentlich dazu beitragen, dass bei der Präsidentschaftswahl 2024 die Wähler*innen und ihre Stimmen entscheiden und nicht Radikale, die Ergebnisse im Nachhinein umkehren wollen, wie Trump und seine Anhänger das 2020 in einigen dieser Staaten versuchten.
Trump oder DeSantis
In Florida unterstreicht der klare Sieg des republikanischen Gouverneurs Ron DeSantis, dass der Bundesstaat ebenso nicht mehr zu den „Swing States“ gehört. DeSantis gewann mit knapp 20 Prozentpunkten Vorsprung und siegte selbst in traditionell demokratischen Hochburgen wie Miami-Dade. Der Sieg hat auch das Potential, eine interessante Dynamik bei den Republikanern auszulösen.
Für Donald Trump, der zuletzt immer wieder angedeutet hatte, nach den Zwischenwahlen seine erneute Präsidentschaftskandidatur bekannt zu geben, waren die Zwischenwahlen ein deutlicher Dämpfer. Ron DeSantis hingegen könnte sich mit einem so starken Ergebnis ermutigt fühlen, sich um die republikanische Präsidentschaftskandidatur zu bewerben - und am Ende sogar erfolgreich sein.