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UNHCR: „Kein Mensch sucht sich aus, Flüchtling zu sein“

Nie gab es mehr Flüchtlinge als im Jahr 2017. Die meisten fliehen nicht nach Europa. Drei Fragen an Dominik Bartsch, Repräsentant des UNHCR-Hochkommissars in Berlin.
von Johanna Schmeller · 20. Juni 2018

Dominik Bartsch, nie gab es mehr Flüchtlinge als im vergangenen Jahr. Wer sind diese Menschen, aus welchen Ländern, aus welchen sozialen Milieus kommen sie?

Ja, in der Tat, auf unserer Erde gibt es jetzt 68,5 Millionen Vertriebene. Zwei Drittel von ihnen kommen aus nur fünf Ländern: Südsudan, Somalia, Afghanistan, Myanmar und natürlich Syrien. Das sind Menschen, die nicht freiwillig gegangen sind, kein Mensch sucht sich aus, Flüchtling zu sein. Sie wurden vertrieben oder sind geflohen, um ihr Leben zu retten. Und es sind Familien, denn mehr als 50 Prozent dieser fast 70 Millionen sind Kinder. Leider spielen sich viele dieser Katastrophen ab, ohne dass wir im Westen richtig hingucken. Aus dem Südsudan zum Beispiel gibt es 2,5 Millionen Flüchtlinge, noch einmal zwei Millionen sind innerhalb des Landes vertrieben. Aber viele Menschen in Deutschland wissen das gar nicht.

Was sind die häufigsten Fluchtursachen?

Um es mit einem Wort zu sagen: Gewalt. Gewalt durch Bomben und Granaten. Gewalt durch Vertreibungen und „ethnische Säuberungen“. Sexuelle Gewalt und politische Unterdrückung. Wir reden hier von Menschen, die oft nur das, was sie am Leibe haben, gerettet haben. Denken Sie an die Rohingya in Myanmar. Da kommen Menschen, die haben ein Hemd und eine kurze Hose an und das ist alles, was von ihrem Leben übriggeblieben ist.

Die Flüchtlingsdiskussion wird derzeit in der deutschen Öffentlichkeit mit großer Unsachlichkeit geführt. Nicht nur der rechte Rand des Parteienspektrums instrumentalisiert inzwischen die Debatte. Wo sehen Sie die Politik jetzt in der Pflicht?

Deutschland ist ein enorm wichtiger Partner für UNHCR. Nicht nur, weil viele Menschen in Deutschland Schutz gefunden haben, auch, weil Deutschland mittlerweile nach den USA der weltweit zweitwichtigste Unterstützer von UNHCR ist (nach UNHCR-Angaben ist Deutschland mit 477 Millionen US-Dollar auf Platz zwei der Geldgeber des UNHCR, weit hinter den USA mit 1,5 Milliarden US-Dollar, Anm. d. Red.). Es gilt hier ein Wort, was in manchen Ohren ein bisschen altmodisch klingen mag, obwohl es nie so aktuell war wie heute: Solidarität. Wenn wir über das Thema Flucht sprechen, dann meine ich die Solidarität mit den Flüchtlingen, aber auch mit den Ländern, die sie aufnehmen. Und das sind bei 85 Prozent ganz arme Länder wie Uganda, der Sudan oder Bangladesch. Diese Länder brauchen Hilfe beim Helfen. Deshalb haben die Vereinten Nationen den sogenannten „Global Compact“ initiiert, mit dem die Last auf breitere Schultern verteilt werden soll. Das ist Solidarität und ich freue mich, dass Deutschland ganz vorn mit dabei ist.

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