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Ungarns Regierungspolitik ist auf einem strammen rechten Weg

von Jörg Hafkemeyer · 12. Juni 2012

Was passiert in Ungarn? Dem Land, in dem 1945 Sandor Marai seinen großartigen Roman „Befreiung“ in ganz kurzer Zeit schreibt und der mit dem denkwürdigen Satz endet: „Es scheint, ich bin frei.“

Dem Land, dessen Bürger sich in großer Zahl 1956 gegen die Kommunisten und die sowjetische Besatzung erheben und zusammengeschossen werden. Dem Land, dessen Politiker 1989 den Grenzzaun durchschneiden, den Eisernen Vorhang hoch ziehen. Unter den überwiegend verschlossenen oder ostentativ weg blickenden Augen der politischen Eliten in Brüssel und Straßburg sowie den europäischen Hauptstädten haben Regierungschef Viktor Orban und seine Anhänger Ungarn auf einen strammen völkisch-nationalistischen Weg geführt. Gegen Proteste, die bisher chancenlos verhallen.

Blick zurück: Der Antisemit Miklos Horthy ...
Im März 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, flüchtet aus Ungarn ein Mann, der später als Kriegsverbrecher gesucht werden wird: Jozsef Nyirö. Über Deutschland setzt er sich in das faschistische Spanien des Diktators Franco ab. Dort stirbt er – unbehelligt – 1953. Nyirö stammt aus Siebenbürgen und ist bis zu seiner Flucht der Blut- und Bodenschriftsteller und Kulturideologe des nationalistischen Antisemiten Miklos Horthy. Der ist ab 1944 mitverantwortlich für die Deportation von mehr als 400 000 Juden. Organisiert von Adolf Eichmann, dessen Opfer in Auschwitz enden. In dieser Zeit der deutschen Besetzung des Landes, von Oktober 1944 bis März 1945, herrscht  in Ungarn ein Schreckensregime. Horthy an der Spitze, Nyirö, der nationalsozialistische Hetzer, die nationalsozialistische Pfeilkreuzler-Partei an der Macht.

Blick in die Gegenwart: ...bekommt 2012 ein Denkmal
Mai 2012. Ein kleiner Ort – Kereki im Südwesten gelegen. Zum ersten Mal nach dem Einsturz des Kommunismus in Ungarn wird ein Miklos-Horthy-Denkmal aufgestellt.

Einige Tage danach: Im Osten Ungarns, in Derecen, wird ein Park nach Horthy benannt und schließlich soll auch in Budapest eine Horthy-Statue errichtet werden. Ausgerechnet hier. Horthy hat die Hauptstadt verachtet. Sie war für ihn ein „judeobolschewistischer Sündenphuhl“. Im Ungarn von Viktor Orban scheint eine Art Horthy-Kult auszubrechen.

Das ist nur die sichtbare Spitze eines Prozesses, der seit fast einem Jahrzehnt zunächst schleichend war, nun offensichtlich wird: Er wird getragen und betrieben von Rechtsextremen sowie der konservativen, rechtsnationalen Partei von Orban, der Fidesz. Deren ideologische Anführer sind neben dem Regierungschef der Parlamentspräsident Laszlo Köver und Geza Scöcs. Er ist Kulturstaatsekretär. Beide Männer betreiben die Rückführung des Nazis Nyirös und seine Beisetzung in seiner Geburtstadt in Siebenbürgen. Die jedoch liegt in Rumänien. Deren Behörden haben die für Pfingstmontag geplante Bestattung verhindert. Parlamentspräsident Körver fiel darauf hin über die Regierung in Bukarest her. Hysterisch und paranoid sei die, barbarisch und unzivilisiert.

Nationalsozialisten als Pflichtlektüre
Erste Rufe werden laut, die zwei Politiker sollen zurück treten. Dass sie das tun werden, ist denkbar unwahrscheinlich. Dass sie und die Fidesz rechtsextremistischem Gedankengut wenigstens nahe stehen, zeigt sich auch an folgendem Sachverhalt: Seit ein paar Wochen gibt es einen neuen Nationalen Grundlehrplan für die Schulen des Landes. Von der Regierung verabschiedet. Zur Pflichtlektüre gehören von nun an zwei Schriftsteller: Der Nationalsozialist Jozsef Nyirö und Albert Waas. Der ist in Rumänien wegen Kriegsverbrechen zum Tod verurteilt worden. In Abwesenheit. Gestorben ist er 1998 in den Vereinigten Staaten. 

Kurz nach dem Regierungsbeschluss haben Lehrerverbände dagegen protestiert, faschistische Autoren in den Grundlehrplan aufzunehmen. Der Protest blieb natürlich ohne Erfolg. Die zuständige Staatssekretärin im Bildungsministerium zeigte sich völlig unbeeindruckt. Es gehe „um Autoren, die zu ihrer Zeit eine große Wirkung gehabt“ hätten: „Sie haben jetzt einen würdigen Platz im Grundlehrplan erhalten.“ Sandor Marai mit seinen „Unzeitgemäßen Gedanken“ und seinem Roman „Befreiung“ nicht.

 

 

 

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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