Ungarn: Rechtsextreme zu lebenslanger Haft verurteilt
Drei rechtsextreme Mörder sind in Ungarn zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Täter sind für eine beispiellose terroristisch-rassistische Anschlags- und Mordserie in der ungarischen Nachkriegsgeschichte verantwortlich.
Nach rund 180 Verhandlungstagen hat ein Gericht in Budapest am 6. August erstinstanzlich drei Männer wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, ein Komplize bekam eine Haftstrafe von 13 Jahren. Mindestens zwei weitere Tatbeteiligte sind bis heute namentlich unbekannt geblieben. Innerhalb von 13 Monaten haben die rechtsextremistischen Täter in den Jahren 2008/2009 sechs Roma-Angehörige exekutiert und mindestens fünf weitere Opfer lebensgefährlich verletzt.
Bei neun Anschlägen der terroristisch-rassistisch motivierten Anschlags- und Mordserie hatte das braune Killerkommando insgesamt 78 Gewehrschüsse abgegeben und 11 Molotow-Cocktails auf von Roma bewohnte Häuser geworfen.
„Lösung des Zigeunerproblems“
Eine lebenslange Haftstrafe erhielten die Brüder Arpad und Istvan Kiss sowie Zsolt Petö. Istvan Csontos, der bei zwei Morden als Chauffeur fungierte, wurde als Komplize zu 13 Jahren Haft verurteilt. Zwei der zur Tatzeit zwischen 28 und 42 Jahre alten Rechtsterroristen gehörten als Mitglied der 2009 rechtskräftig verbotenen „Ungarischen Garde“, der Schlägertruppe der national-sozialistischen Jobbik-Partei an. Laut Anklage wollte die so genannte „Todesbrigade“ mit ihren Aktionen gewaltvolle Antworten der Roma-Minderheit provozieren und damit ethnische Spannungen schüren. Ihr selbst ernanntes Ziel war die „Lösung des Zigeunerproblems“. Die Taten plante die Bande „mit militärischer Umsicht“, so die Staatsanwaltschaft. So wurden eigens Schießübungen abgehalten.
Die vier Verurteilten waren in der nordostungarischen Großstadt Debrecen am 21. August 2009 gefasst worden. Sie gelten als Hardcore-Fans des Fußballclubs von Debrecen und sollen in neonazistische Netzwerke eingebunden gewesen seien. Zwei der Täter standen im Visier des ungarischen Geheimdienstes. Kurz vor Beginn der Mordserie soll jedoch die Überwachung abgebrochen worden sein. Ein weiterer Verurteilter war noch während der Mordserie Informant des Militärgeheimdienstes. In ungarischen Medien werden so auch Parallelen zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) gezogen. Roma-Beobachter des Prozesses kritisieren, dass das Gericht die Mordserie nur „aus niederen Beweggründen“ wertete und die Taten nicht als rassistisches Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Terrorismus mit dem Ziel des Völkermordes einstufte.
Gezielter Schuss aus Gewehr mit Zielfernrohr
Die Terrorserie startete am 21. Juli 2008. Die „Todesbrigade“ schoss auf ein von Roma bewohnes Haus in Galgagyörk bei Budapest. Getroffen wurden keine Menschen, „nur“ die Fensterscheiben. Auch drei weitere Anschläge „misslangen“. Beim nächsten Anschlag kamen erstmals Molotow-Cocktails – mit denen die Häuser entzündet wurden – zum Einsatz. Bei der Flucht aus dem brennenden Haus im ostungarischen Dorf Nagycsécs wurde die 40-jährige Romi Eva Nagy gemeinsam mit ihrem 43-jährigen Schwager Jozsef Nagy in der Nacht zum 3. November 2008 von Schüssen durchsiebt. Tibor Nagy, Ehemann von Eva, wurde schwer verletzt.
Am 23. Februar 2009 schlugen die rechtsterroristischen Täter in Tatarszentgyörgy, 55 Kilometer südlich von Budapest, zu. Sie erschossen den 27-jährigen Rom Robert Csorba und seinen fünfjährigen Sohn, die vor den Flammen ins Freie geflüchtet waren. Eine Tochter überlebte schwer-, die Mutter leichtverletzt. Zwei Monate später, am 22. April 2009, ermordeten die rassistischen Gewalttäter den 54-jährigen Jenö Koka im ostungarischen Dorf Tiszalök mit einem gezielten Schuss vor seinem Haus. Sie hatten ein Gewehr mit Zielfernrohr eingesetzt. Am 2. August 2009 wurde die 45-jährige Maria Balogh im nordostungarischen Kisleta durch ein Fenster in ihrem Bett mit Kopfschüssen hingerichtet, ihre 13-jährige Tochter lebensgefährlich verletzt.
Allein im Zeitraum vom Januar 2008 bis Juni 2009 dokumentierte das European Roma Rights Centre (ERRC) 39 Angriffe auf Roma und deren Eigentum in Ungarn.
Roma werden zum Sündenbock für Krisen jeder Art gemacht
Das Budapester Urteil vom 6. August gegen die Rassisten-Mörder ist noch nicht rechtskräftig. Beim Prozess waren auch Neonazis, die ihre Gesinnung offen auf T-Shirts mit Aufdrucken wie „Heroes“ zur Schau trugen, zugegen. Wenige Tage vor der Urteilsverkündung jährte sich am 2. August der Internationale Tag des Gedenkens an den Genozid an Sinti und Roma. Vor 69 Jahren, am 2. August 1944 wurden 3000 Sinti und Roma in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau auf industriell betriebene Art vernichtet.
Die in Ungarn lebenden Roma machen bis zu acht Prozent der dortigen Bevölkerung aus. Die größte ethnische Minderheit im Land wird zum Sündenbock für Krisen jeder Art gemacht. Sie ist nicht nur subtilen Formen der Diskriminierung und des Rassismus im Alltag ausgesetzt und erfährt rechtliche und soziale Benachteiligung, sondern leidet unter massiven rassistischen Übergriffen und Gewalttaten, die von nationalistischen Kräften und extrem rechten Parteien geschürt werden. Für europaweite Schlagzeilen sorgten jüngst Politiker der in Budapest regierenden rechtsnationalen Partei Fidesz. Fidesz-Lokalpolitiker schnitten bei Temperaturen bis zu 37 Grad Celsius in der von ihnen verwalteten nordungarischen Stadt Ozd kurzerhand eine Roma-Siedlung von der Wasserversorgung ab.
Dieser Artikel erschien zuerst auf blicknachrechts.de