Ungarn: Europäischer Gerichtshof stoppt das „Stop-Soros-Gesetz“
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Mitte 2018 hatte Ungarn ein Gesetz beschlossen, das die Hilfe bei unzulässigen Asylanträgen zur Straftat erklärte. Seitdem drohen Haftstrafen bis zu einem Jahr. Als Beispiele für strafbare „Organisationstätigkeiten“ nannte das Gesetz unter anderem die „Verbreitung von Informationsmaterial“. Mit der Kriminalisierung solle die „missbräuchliche“ Stellung von Asylanträgen bekämpft werden.
Unklar, wo Strafbarkeit beginnt
Das Gesetz wurde „Stop-Soros-Gesetz“ genannt. Die nationalkonservative ungarische Regierung unter Victor Orban behandelt den US-Investor und Mäzen George Soros als Staatsfeind. Orban unterstellt Soros alle möglichen finsteren Pläne, insbesondere die „Überflutung“ der EU mit Flüchtlingen.
Das Hungarian Helsinki Comitee (HHC) bezog das Gesetz vor allem auf sich. Es sei die einzige ungarische NGO, die kostenlos Flüchtlinge berät und vertritt. Das HHC wird finanziell vom UN-Flüchtlingskommissar (UNHCR) unterstützt.
Das ungarische Verfassungsgericht verlangte 2019 eine einschränkende Auslegung des Gesetzes. Eine uneigennützige Unterstützung von Hilfsbedürftigen dürfe nicht bestraft werden. Das Verfassungsgericht hob das Gesetz aber nicht auf. Für das HHC blieb die einschüchternde Wirkung auf die Zivilgesellschaft deshalb bestehen, es sei nach wie vor unklar, wo die Strafbarkeit beginne, so die damalige Kritik.
Ungarn verletzt EU-Recht
Ebenfalls 2019 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungserfahren gegen Ungarn ein. Das „Stop-Soros-Gesetz“ bedrohe faktisch alle Flüchtlingshelfer*innen mit Strafe, weil das ungarische Asylrecht so massiv eingeschränkt wurde, dass fast alle Asylanträge als unzulässig gelten. Die EU-Kommission beanstandete deshalb auch, dass Asylanträge in Ungarn schon deshalb unzulässig sind, wenn Antragsteller*innen nicht in mindestens einem Drittstaat, über den sie eingereist sind, verfolgt wurde.
Der EuGH verurteilte nun Ungarn wegen Verletzung des EU-Rechts. Wie schon in früheren Entscheidungen betonte der EU-Gerichtshof, dass Ungarn Asylanträge nicht aus Gründen für unzulässig erklären darf, die über EU-Recht hinausgehen. Deshalb verstoße es gegen EU-Recht, wenn schon die Einreise über sichere Drittstaaten einen Asylantrag unzulässig macht. Nach EU-Recht ist dies nur möglich, wenn die Asyl-Antragsteller*innen zu mindestens einem der Drittstaaten, durch die sie gereist sind, eine „Verbindung“ hat, so dass es möglich ist, dorthin zurückzukehren.
Grundrecht auf Asylantrag nicht gefährden
In diesem Zusammenhang sah der EuGH auch in der Kriminalisierung von Flüchtlingshelfer*innen einen Verstoß gegen EU-Recht. Das ungarische Strafgesetz erfasse auch Personen, die Asylanträge unterstützen, die nur nach dem EU-rechtswidrigen ungarischen Recht keine Aussicht auf Erfolg haben. Es gehe also nicht nur um die Bekämpfung von „missbräuchlichen“ Asylanträgen.
Auch könne von Flüchtlingshelfer*innen nicht verlangt werden, schon bei der Asylantrags-Stellung einzuschätzen, ob der Antrag erfolgversprechend ist oder nicht, so der EuGH. Das ungarische Strafgesetz sei daher geeignet, auch Personen abzuschrecken, die nur Flüchtlingen helfen wollen, von ihrem Grundrecht Gebrauch zu machen, einen Asylantrag zu stellen.
Das Hungarian Helsinki Comitee begrüßte das EuGH-Urteil. Man habe sich aber durch das Gesetz nicht einschüchtern lassen und in der Zwischenzeit 1.800 Asylantragsteller*innen in Ungarn geholfen, sagte Márta Pardavi, die Co-Vorsitzende des HHC.