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UNESCO: „Eine freie Presse ist die Grundlage der Demokratie“

Der 2.November ist der Internationale Tag zur Beendigung der Straflosigkeit für Verbrechen gegen Journalisten. Aus diesem Anlass startet die UNESCO in diesem Jahr die Twitter-Kampagne #TruthNeverDies. Ein Gespräch über die Bedeutung von Journalismus mit der Vorsitzenden des deutschen UNESCO-Kommitees, Maria Böhmer.
von Johanna Schmeller · 31. Oktober 2018

Frau Böhmer, den Internationalen Tag zur Beendigung der Straflosigkeit für Verbrechen gegen Journalisten gibt es seit fünf Jahren. Inwieweit hat sich Ihrer Einschätzung nach innerhalb dieses Zeitraums die Situation verändert, möglicherweise verschlimmert?

Erstmalig gab es 2017 mehr getötete Journalisten in Ländern ohne bewaffnete Konflikte als in Kriegsgebieten. Bereits in den letzten Jahren hat sich abgezeichnet, dass die Anzahl der getöteten Lokaljournalisten stetig wächst. Journalisten werden gezielt getötet, um sie zum Schweigen zu bringen. Morde an Journalisten sind besonders verächtliche Verbrechen, da sie zugleich die Wahrhaftigkeit angreifen, die ein demokratisches Gemeinwesen ausmacht.

2015 gab es einen traurigen Höhepunkt mit fast 120 Todesfällen. Diese erschreckende Zahl hat sich in den Folgejahren zurückentwickelt. Gleichzeitig beobachten wir, dass Fälle von willkürlicher Verhaftung, Folter, Einschüchterungen, digitalen Angriffen und der Beschlagnahmung von Recherchematerial zunehmen. Das ist besorgniserregend.

Nur mit einer Presse, die nicht bedroht wird, kann eine reflektierte öffentliche Meinungsbildung gelingen. Dafür müssen wir uns weltweit und auch in Europa einsetzen. Dazu zählt auch, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Der Anteil der aufgeklärten Morde an Journalisten liegt weiterhin bei lediglich etwa 10 Prozent. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand.

Was wollen Sie mit der Kampagne „#TruthneverDies“ zeigen?

Die UNESCO-Kampagne #TruthNeverDies soll die Geschichten ermordeter Journalistinnen und Journalisten erzählen. Sie soll deutlich machen: selbst durch den Mord an Journalisten, werden sie nicht zum Schweigen gebracht. Denn die Wahrheit stirbt nicht.

Wir rufen Medienhäuser in ganz Deutschland dazu auf, an der Kampagne mitzuwirken und über die Geschichten ihrer ermordeten Kolleginnen und Kollegen zu berichten.

An welche Journalisten denken Sie besonders?

Im Moment denken wir natürlich an den saudi-arabischen Journalisten Jamal Kashoggi, der erst vor kurzem im Konsulat in Istanbul brutal ermordet wurde. Ich denke an die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia, die bei einem Autobombenattentat getötet wurde. Ich denke an den slowakischen Journalisten Jan Kuciak, der in seiner Wohnung erschossen wurde, um seine Berichterstattung zu unterdrücken. Ich denke an den jemenitischen Journalisten Mohammed al-Absi, der durch seine regierungskritische Berichterstattung bekannt und 2017 vergiftet wurde. Die Geschichten dieser Journalistinnen und Journalisten und vieler anderer müssen erzählt werden, damit wir nicht vergessen, wofür sie sterben mussten.

Welche Rolle spielt die Pressefreiheit aus Sicht der UNESCO heute – sind Journalisten eine stützende Säule der Demokratie, oder sogar das tragende Fundament?

Nur durch eine freie Presse können Bürgerinnen und Bürger informierte Entscheidungen treffen. Das ist eine Grundlage der Demokratie. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist eines unserer wertvollsten Rechte. Sie untermauert alle anderen Freiheiten und legt die Grundlage für die menschliche Würde. Freie, pluralistische und unabhängige Medien sind essenzielle Voraussetzungen für das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit.

Stichwort Social Media: Über Twitter werden Debatten viel schärfer ausgetragen als noch vor wenigen Jahren. Verbale Gewaltaufrufe gegen Journalisten – dokumentiert unter anderem durch den deutschen Spiegel-Korrespondenten Hasain Kazim – nehmen zu. Befördert dies eine Gesellschaftskultur, in der Gewalt gegen Journalisten „salonfähiger“ wird?

Angriffe auf Journalisten nehmen in Europa und auch in Deutschland zu. Wir sehen, dass Journalisten im Netz zunehmend zur Zielscheibe werden. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie auch physischer Gewalt ausgesetzt sind, aber bereits virtuelle Drohungen und Einschüchterungen sind Angriffe auf die Pressefreiheit. Wir müssen vermeiden, dass Angst zur Selbstzensur von Journalisten führt. Deshalb ist es wichtig, jegliche Angriffe strafrechtlich zu ahnden.

Bundestagsabgeordnete hatten sich einen UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten gewünscht. Wie bewerten Sie dies?

Ich begrüße diese Initiative sehr und freue mich, dass der Deutsche Bundestag als weltweit erstes Parlament die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten ausdrücklich unterstützt. Ein hauptamtlich tätiger UN-Sonderbeauftragter könnte das Bewusstsein für das wichtige Thema weiter stärken, neue Impulse für den Schutz von Journalisten weltweit geben und selbst Untersuchungen initiieren. Das wäre ganz im Sinne der UNESCO. Ich appelliere an die Bundesregierung, sich für eine zeitnahe Einrichtung eines UN-Sonderbeauftragten einzusetzen.

Prof. Dr. Maria Böhmer ist Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission.

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