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Unabhängigkeit von Katalonien: Was Spanien jetzt braucht

Nach dem Unabhängigkeitsreferendum spitzt sich die Lage in Katalonien weiter zu. Am Abend will Regionalpräsident Carles Puigdemont eine Erklärung abgeben. Die Rhetorik der Separatisten und die überzogene Reaktion der konservativen Regierung haben den gesellschafltichen Diskurs vergiftet.
von Gero Maaß · 4. Oktober 2017
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Der demokratischen Rechtsstaat ist eine große zivilisatorische Errungenschaft und besser noch, wenn wir ihn im als sozialen Rechtsstaat ausgestalten. Wenig Sinn macht es, die Werte gegeneinander auszuspielen. Selbstbestimmung in einer Demokratie bedarf rechtsstaatlichen Handels. Vor diesen Hintergrund verfehlt das katalanische Referendum jeglichen Minimalstandart. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel.

Die konservative Regierung verweigert sich dem Gespräch

Andererseits dürfen demokratische Veränderungswünsche auch nicht im Namen rechtsstaatlicher Abläufe ausgesessen werden. Jahrelang haben die Katalanen versucht, wieder an den misslungenen Versuch des Autonomiestatuts anzuknüpfen, das 2006 unter dem sozialdemokratischen Premier Zapatero geschlossen und später vom spanischen Verfassungsgericht (ganz im Sinne der konservativen PP) für nichtig erklärt wurde. Die konservative Madrider Regierung hat sich seitdem dem Gespräch verweigert. Die vergeblichen Versuche hinterließen Frust und stauten sich langsam zusammen mit der Steuerfrage (wieviel Steuergeld fliesst ins spanische Zentralsäckel) zur Verärgerung auf.

Zusammen mit den ewig Gestrigen (die letztlich immer noch an der katalanischen Niederlage gegen Kastilien in 1714 verzagen) und der Erinnerung an das Leid der Unterdrückung in den Jahren der Franco-Diktatur, präsentierten die Separatistenparteien 2014 und nun erneut am 1. Oktober, dem Madrider Zentralstaat ihren Unabhängigkeitswillen. Dabei bilden sie selber weder einen homogenen Block (der wüsste, wo es denn danach hingehen solle) noch verfügen sie über eine nachweisbare Mehrheit. Die letzten belegbaren Zahlen kommen aus der Regionalwahl 2015: Dabei kamen die separatistischen Parteien auf 48 Prozent der Stimmen und verfügen nur dank des Wahlrechts über eine Mehrheit der Sitze. Von der linksradikalen CUP haben sich die gemässigten Kräfte im Separatistenblock das Heft des Handels aus der Hand nehmen lassen.

Die Kraft der Bilder

Die unter zweifelhaften Bedingungen beschlossenen katalanischen Gesetze zum Referendum und des Übergangs (von Anfang September) und das jeglichen nachprüfbaren Standards spottende Referendum stehen dabei der überzogenen Madrider Reaktion in nichts nach. Unter Berufung auf das Verfassungsgericht schickte Madrid die Bundespolizei, klagte Bürgermeister an, beschlagnahmte Wahlunterlagen und legte die wahlrelevante Internetkommunikation lahm. Zum Schluss prügelten die angereisten Polizisten noch auf Bürger ein, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wollten. Die katalanische Polizeieinheit (Mossos d’Esquarda) hatte sich den Befehlen aus Madrid verweigert.

Wie eine geheime Allianz: Der katalanische Regionalpräsident Puigdemont hatte damit die notwendigen Bilder, die die rechtsstaatliche Bedenklichkeit vergessen machen sollte. Premier Rajoy unterstrich gegenüber den konservativen Parteimitgliedern und spanischen Wählern seine Verlässlichkeit und Handlungswillen. Der Ruf der Partido Popular (PP) in Katalonien ist ohnehin desaströs und den Rüffel von der EU kann er wegstecken. Bei eventuellen Neuwahlen indes kann er sich nun in Spanien als Sachwalter nationaler Interessen profilieren.

Wer in Spanien welche Rolle spielt

Die beiden Rollen von „the bad“ and „the ugly“ sind also im spanisch-katalanischen Politinszenierung fest vergeben. Gehen wir die potentielle Besetzungsliste für den Guten durch.

Die linkspopulistische Podemos hinterlässt ein unklares Bild, was auch auf ihre regionale Aufsplitterung zurückzuführen ist. Im Madrider Parlament kündigte sie mal wieder ein Misstrauensvotum an. Dieses Politikinstrument haben sie in ihrer kurzen parlamentarischen Existenz schon häufiger angekündigt, als die Katalanen ihre Referenden.

Die Sozialdemokraten plädierten unter ihrem neuen und alten Parteichef Sanchez für eine Verfassungsänderung, die Spanien zu einer Nation der Nationen erklärt. Katalonien bliebe Teil eines reformierten spanischen Föderalismus. Nicht alle in seiner Partei sind damit glücklich. Geht die PP mit ihnen zusammen diesen schwierigen Weg der Verfassungsreform? Noch könnte Ministerpräsident Rajoy auch die Karte Neuwahlen ziehen. In Hoffnung auf eine Mehrheit, gespeist durch sein hartes, provokantes Durchgreifen.

Die katalanische Opposition muss beteiligt werden

Gefragt ist ein runder Tisch aller Beteiligten: Auch die katalanische Opposition muss endlich an der Suche nach einer Lösung mit beteiligt werden, möchte man die Repräsentanz aller in Katalonien beheimateten Bevölkerungsteilen statt sprachlich-kultureller Dominanz unter anderen Vorzeichen. Dringend gebraucht würde ein von allen Seiten akzeptierter Vermittler, der in verfahrene Situation einen Anfang macht. In Spanien ist er nicht zu finden, die EU winkt bislang ab.

Ob und wann die Regionalregierung nun einseitig die Unabhängigkeit verkündet (das festgestellte Ergebnis des Referendums spielt dabei eigentlich gar keine Rolle) und die spanische Zentrale daraufhin auf der Grundlage des Artikels 155 der Verfassung die Regionalverwaltung ihres Amtes enthebt – die katalanisch-spanische Tragödie dürfte auf dem Spielplan bleiben. Die Demonstrationen der vergangenen Tage sind ein erstes Zeichen dafür, dass der Konflikt von Parlament und Wahlurne nun auf die Straße getragen wird. Mehr noch: Die Rhetorik der separatistischen Kräfte und nun die unnötige Reaktion der konservativen Regierung haben den gesellschaftlichen Diskurs vergiftet. Der Spaltpilz geht nicht nur in der großen Politik auf, sondern mitten unter Arbeitskollegen, Freunden und Familie. Und dies nicht nur in Katalonien.

Autor*in
Gero Maaß

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid.

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