Ukrainer wählen mit großer Mehrheit pro-europäisch
Die ersten Schätzungen sind insofern eine Überraschung, als die rechten Parteien nicht ansatzweise so viele Stimmen erhalten haben, wie ihnen vorher von den Umfragen zugesprochen worden waren. Die Sieger sind zurzeit Präsident Poroschenko mit seinem Wahlblock (23 Prozent) und Premierminister Arseni Jarzenjuk mit seiner demokratischen Volksfront (21 Prozent), wie Nachwahlbefragungen nahelegen. Die offiziellen Ergebnisse werden erst in einigen Tagen veröffentlicht.
Vor allem der Oberbürgermeister der westukrainischen Stadt Lemberg, Andrij Sadowyj, hat etwas erreicht, was ihm kaum jemand zugetraut hätte: Seine neu gegründete Bewegung Samopomitsch (Selbsthilfe) erzielte offenbar mehr als 13 Prozent und käme so auf den dritten Platz. Ein Jahr nach dem Beginn der Maidan-Proteste sind damit drei pro-europäische Bewegungen aus dieser Wahl als stärkste Kräfte hervorgegangen und wurden von etwa 70 Prozent der Wähler mit dem Auftrag ausgestattet, die Ukraine zu befrieden, zu demokratisieren und nach Westen zu orientieren.
Regierungsbildung in Kiew wird schwierig
Das ist eine schwierig Aufgabe, vielleicht sogar eine sehr schwierige. Selbst wenn Russland in den Regionen von Donezk und Lugansk nicht so offensichtlich intervenieren sollte wie auf der Krim. In den umkämpften und besetzten Gebieten der Ukraine konnte übrigens nicht gewählt werden. Präsident Poroschenko wird nun eine Koalition bilden müssen, und zwar mit seinem Premierminister Jazenjuk, und möglicherweise auch mit dem Lemberger Bürgermeister Sadowyj.
In der Opposition wären dann die Gefolgsleute des ehemaligen, nach Russland geflohenen Präsidenten Janukowitsch (8 Prozent) und die Rechtspopulisten von Oleg Ljaschko (6,4 Prozent). Ein Wahlergebnis im Übrigen, das eine schallende politische Ohrfeige für Ljaschko ist. Vor der Wahl war er mit 15 bis 20 Prozent gehandelt worden. Überhaupt sind die nationalistischen und faschistischen Gruppierungen vom Wähler abgeschmettert worden. Ähnlich schlecht schnitten Julia Timoschenko und ihre Verbündeten ab. Sie scheinen zwar die Fünf-Prozent-Hürde und damit den Einzug ins Parlament geschafft zu haben, Einfluss auf die Regierungspolitik können sie nach dieser herben Niederlage aber nicht mehr nehmen.
Parlamentarier sind korrupt und brutal
Die politischen Konstellationen scheinen damit zunächst einmal klar, doch beginnen die Probleme der Ukraine bereits im Parlament, der Rada. Deren Angehörige, jedenfalls war das so in den zurückliegenden Jahren, werden von Oligarchen finanziert, gelenkt und für partikulare Interessen eingesetzt. Die Auseinandersetzungen in der Rada sind grob und brutal, verlogen und gemein. Jedenfalls war sie bisher in der überwiegenden Zahl der Auseinandersetzung kein Vorbild für zivilgesellschaftliches Handeln. Und Parteien im traditionellen Sinn gibt es auch nicht, es sind – oft kurzlebige – Zusammenschlüsse.
Die neuen Parlamentarier sind es, die Hoffnung machen. Diejenigen, die auf dem Maidan demonstriert haben. Diejenigen, die die Korruption bekämpfen und das Land nach Westen führen wollen. Es sind jene Jungen und Kreativen, die sich nicht kaufen lassen, auch nicht von der Europäischen Union, und die mit dem alten politischen System in Kiew brechen wollen.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).