Ukraine: Trotz Selenskijs Erfolg könnte am Ende Poroschenko siegen
Die erste Runde der ukrainischen Präsidentenwahlen am 31. März hat einen überraschend klaren Sieger gebracht: Laut mehreren Exit-Pools kommt der Fernsehmoderator und Komiker Wolodymyr Selenskij mit etwa 30 Prozent auf den ersten Platz. Damit ist er sicher in der Stichwahl am 21. April. Der Zweitplatzierte ist der amtierende Präsident Petro Poroschenko, der 16 bis 18 Prozent der Stimmen erreichte.
Hohe Wahlbeteiligung
Die wohl bekannteste ukrainische Politikerin Julija Timoschenko verfehlt dagegen die nächste Runde. Die Wahlbeteiligung hat mit über 65 Prozent die Erwartungen übertroffen. Auch in Deutschland bildeten sich Schlangen vor den ukrainischen Auslandsvertretungen. Gerade die große politische Mobilisierung der Ukrainer hat Selenskij erkennbar geholfen.
Vor dem Wahlsonntag erwarteten die meisten Experten, dass die Unterstützer Selenskijs in den Umfragen, meistens politikferne Ukrainer unter 35 Jahren, zum großen Anteil Nicht-Wähler bleiben würden. Doch sie fanden den Weg zum Wahllokal. Offenbar haben die Strategen von Poroschenko und Timoschenko das Protestpotential der Ukrainer unterschätzt.
Stimme der Enttäuschten
Im Land der korrupten Elite, der galoppierenden Lebenshaltungskosten und der großen politischen Enttäuschungen hat Selenskij mit seiner Vision einer gerechten Welt („Schullehrer, der genauso gut lebt, wie ein Präsident“, so ein Zitat aus seiner TV-Serie) den richtigen Nerv getroffen. Selenskijs Programm ist eine Mischung aus populistischen Parolen, Wiederholungen und Plagiaten. Er fordert mehr direkte Demokratie, hohe Gehälter und Renten, harte Strafen für Korrupte, die Heimkehr der Krim und der besetzten Gebiete im Donbass durch den Beistand des Westens, den EU- und NATO-Beitritt der Ukraine nach einem Volksentscheid. Diese Versprechungen wirkten ausgerechnet bei dem politisch unerfahrenen Selenskij authentisch, überzeugend und im Endeffekt in den Augen vieler politikverdrossenener Ukrainer mobilisierend für den Urnengang.
Trotz dieses beachtlichen Erfolges ist Selenskij immer noch weit von seinem Traum entfernt, in den Präsidentenpalast einzuziehen. Das politische Schwergewicht Poroschenko wird im kommenden Monat versuchen, neue Bündnisse zu schmieden und unterlegene Kandidaten auf seine Seite zu ziehen. Hier hat er als Staatschef und Netzwerker bessere Karten. Deshalb wird ihm von vielen Beobachtern zugetraut, sich in der Stichwohl gegen den Newcomer durchzusetzen.
Timoschenko spielt auf Zeit
Auf das drittgrößte Stimmenkontingent kann sich Poroschenko allerdings wenig Hoffnung machen. Timoschenko sieht sich selbst als Teilnehmerin der Stichwahl und wirft der Regierung massive Manipulationen zugunsten Poroschenkos vor. Am Wahlabend kündigte sie Straßenproteste an und kritisierte alle Exit-Pools. Diese Äußerungen werden aber weitgehend folgenlos bleiben. Die Politikerin hat wenig Ressourcen, um den Wahlausgang erfolgreich anzufechten und Poroschenko aus der Stichwahl zu verdrängen.
Im Kampf um ihr politisches Überleben geht sie einen anderen Weg. Laut ukrainischen Journalistenkreisen gebe es bereits erste Sondierungsgespräche zwischen den Wahlkampfleitungen Timoschenkos und Selenskijs. Timoschenkos Ziel sei die Änderung des Wahlrechts vor der Parlamentswahl im Oktober. Die „Batkiwschtschyna“-Partei der ehemaligen Ministerpräsidentin hat gute Umfragewerte. Eine Einigung beider Kandidaten würde für die Politikerin eine Rückkehr an die Spitze der Regierung bedeuten. Doch ob ihre Anhänger ihrer Empfehlung für die Stichwahl folgen ist ungewiss.
Radikalismus nicht gefragt
Eine überwiegende Mehrheit von 39 Präsidentschaftskandidaten hat den Wählern eher gemäßigte Programme angeboten und bei ihren Auftritten auf radikale Parolen verzichtet. Nationalisten haben sich mit dieser Wahl schwergetan: Der Rechtspopulist Oleg Ljaschko hat nur 4 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereint, der Rechtsradikale Roman Koschulinskij 2 Prozent.
Auch Politiker, die sich als Sprachrohr der Ostukraine präsentierten und für eine Versöhnung mit Russland plädierten, haben wenig Zustimmung bei den Wählern gefunden. Der moderate ehemalige Energieminister Jurij Bojko hat den aggressiven Oleksandr Wilkul, stellvertretender Premierminister in der Janukowytsch-Zeit, deutlich überholt. Diese Tatsache spricht gegen die These einer starken Polarisierung der Ukraine als Folge des Krieges.