International

Ukraine: Kompromiss zwischen Opposition und Regierung

von Jörg Hafkemeyer · 21. Februar 2014

Außenminister Frank-Walter Steinmeier erreichte mit seinen Kollegen einen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition. Zuvor hatten die Unruhen in der Ukraine weitere Opfer gefordert. Mehr als 70 Tote  und viele Verletzte gab es nach den Auseinandersetzungen der vergangenen Tage in Kiew.

Es waren schwierige Verhandlungen und lange Verhandlungen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, sein polnischer Kollege Radoslav Sikorski und der französische Außenminister Laurent Fabius haben seit Donnerstagvormittag immer wieder mit allen Verantwortlichen der drei Oppositionsparteien, mit Regierungsmitgliedern und mit Präsident Viktor Janukowitsch gesprochen. Währenddessen gab es auf dem Maidan und in der näheren Umgebung mehr als 70 Tote. Erschossen. Dazu viele Verletzte. Viel Zorn und Verbitterung, Wut. Im ganzen Land gibt es Aufstände gegen die Machthaber in Kiew.

Die haben sich unter der Führung von Viktor Janukowitsch nach mehr als 20stündigen Unterredungen mit der Opposition, vor allem aber mit den drei Außenministern Steinmeier, Sikorski und Fabius, bei aller Widersprüchlichkeit der Informationen offenbar auf Folgendes geeinigt: Die Verfassung von 2004 soll umgehend wieder eingeführt werden und der Präsident damit einen Teil seiner Vollmachten verlieren. Eine Regierung des Vertrauens, also eine Übergangsregierung, soll innerhalb von zehn Tagen gebildet werden. Präsidentenwahlen schließlich soll es am Ende dieses Jahres geben statt im Frühjahr 2015. Der deutsche Außenminister meinte nach den schwierigen und erschöpfenden Gesprächen in der ukrainischen Hauptstadt zu diesem Ergebnis und der Zustimmung des Präsidenten, es sei vieles zusammengekommen: „Das erschrocken sein über die Gewalt und die Lage im Land. Sicher auch der internationale Druck.“

Erfolg der Vereinbarung ist ungewiss

Ob dieses Verhandlungsergebnis zur Beruhigung der Lage und Beendigung der Aufstände im Land beitragen kann, ist denkbar ungewiss. Die Aktivisten auf dem Maidan in Kiew, in Lemberg und in anderen Städten der westlichen Ukraine wollen den sofortigen Rücktritt des Präsidenten. Und sie wollen Parlamentswahlen. Die aber stehen nicht in der Vereinbarung. Genau mit diesem Punkt hatten sich vor allem während der nächtlichen Unterredungen die drei Führer der politischen Opposition sehr schwer getan. Nun müssen sich sowohl Viktor Janukowitsch als auch die Chefs der drei Oppositionsparteien in ihren jeweiligen Formationen durchsetzen. Polens Premierminister Donald Tusk sieht eine Einigung "in weiter Ferne".

Dieser Versuch einer Einigung wird in einer sehr gefährlichen Lage unternommen. Auf dem Maidan in Kiew schießen Unbekannte auf die Polizei. Die schießt auf unbewaffnete Bürger und tötet sie. Vor allem auf der Südseite des Platzes. Am Vormittag dringen Polizisten in das Parlament ein, verlassen es aber nach einiger Zeit wieder. Die Aktivisten haben die 70 von ihnen festgesetzten Polizisten freigelassen und fordern nun die Freilassung der von der Polizei festgenommen Demonstranten: Wenn das nicht geschehe, würden sie Mittel und Wege finden, sie heraus zu holen. In Lemberg haben Polizisten ihren Dienst quittiert und sind zur Opposition übergelaufen. Einige von ihnen wurden schon auf dem Kiewer Maidan gesichtet. Juri Dumanski, der stellvertretende Generalstabschef, ist aus Protest gegen die Politik des Präsidenten zurückgetreten.

Das Abkommen ist am Freitagnachmittag schließlich doch unterzeichnet worden. Frank-Walter Steinmeier und Radoslav Sikorski hatten noch einmal Vertreter der Opposition und der Aktivisten auf dem Maidan getroffen. Bei ihnen hieß es immer wieder: „Wir bleiben bis zum Ende. Janukowitsch – Rücktritt sofort.“ Die beiden Außenminister hatten schwierige Gespräche, da die Demonstranten die ausgehandelten Verabredungen zwischen dem Präsidenten und der Opposition zunächst strikt ablehnten. Schließlich aber stimmten die Opposition und die Maidan-Vertreter zu, auch wenn sie Janukowitsch weiter misstrauen und ihnen seine Zugeständnisse nicht ausreichen. Dennoch: ein Erfolg für Steinmeier und seinen polnischen Kollegen. Ob es der entscheidende Durchbruch in der ukrainischen Krise ist, muss sich noch zeigen. Es gibt nach wie vor weiteren Gesprächsbedarf, auch deshalb, weil Teile der Opposition auch den Rücktritt des Innenministers und des Generalstaatsanwalts fordern.

Info:
Den Wortlaut der Vereinbarung können Sie (auf Englisch) hier nachlesen.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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