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Ukraine: Janukowitschs Macht beginnt zu bröckeln

von Jörg Hafkemeyer · 31. Januar 2014

Während in Kiew die Angst vor einem gewaltsamen Ausnahmezustand wächst, hat die Opposition in Lemberg die Kontrolle übernommen und blockiert die Kasernen. Bundesaußenminister Steinmeier und sein US-Kollege Kerry versuchen zu vermitteln.

Es gibt erste Erosionserscheinungen im ukrainischen Machtapparat. Es gibt die Gefahr der Ausrufung eines Ausnahmezustands. Es gibt mehr als 230 politische Gefangene oder unter Hausarrest Gestellte. Es gibt einen Präsidenten, der untergetaucht und angeblich krank ist. Und es gibt im Westen der Ukraine eine Situation, in der der Regierung in Kiew die Macht entgleitet.

Lemberg ist rund 500 Kilometer von Kiew und 70 Kilometer von der Grenze zu Polen entfernt. In der alten Stadt der Schokoladenfabrikation und der Kaffeehäuser haben die oppositionellen Kräfte, die sich hier Selbstverwalter nennen, die Macht übernommen. Viele von ihnen haben ihren Jahresurlaub genommen, um an den Demonstrationen im sehr kalten Kiew teilzunehmen. Andere von ihnen haben das Regierungsgebäude in Lemberg gestürmt, den von Kiew eingesetzten Gouverneur davon gejagt und den Regierungssitz besetzt. Der Bürgermeister unterstützt die Selbstverwalter. Der Gouverneurpalast ist blockiert.

Faktisch regiert jetzt die Opposition von hier. Die am Rand des Stadtzentrums liegenden Kasernen von Polizei und Militär sind massiv blockiert. Die Opposition hat unbewaffnete Wachen aufgestellt, um den Nachschub nach Kiew zu unterbinden. Für den Fall gewaltsamer Auseinandersetzungen sind im Gouverneurssitz medizinische Zentren eingerichtet worden. Die Lage ist friedlich, aber angespannt.

Regierungspartei drohte auseinander zu fallen

Gar nicht friedlich und sehr gefährlich ist die Lage im Zentrum von Kiew. Politisch sieht sie so aus: Präsident Janukowitschs Partei der Regionen drohte im Parlament auseinander zu fallen. Etwa 60 Abgeordnete seiner Partei der Regionen wollten gemeinsam mit den Oppositionsparteien beschließen, zur Verfassung von 2004 zurückzukehren und eine bedingungslose Amnestie für die inhaftierten Oppositionellen zu erlassen.

Massiv setzte der Präsident mit Unterstützung einiger Oligarchen seine Fraktion unter Druck, unter anderem mit der Drohung, die Rada, das Parlament, aufzulösen. Das Ergebnis: Die Opposition enthielt sich bei der Abstimmung. Die Regierungsabgeordneten beschlossen eine Amnestie mit der Einschränkung, sie trete nur in Kraft, wenn die Protestierenden innerhalb von zwei Wochen die besetzten Gebäude sowie die Plätze räumen würden.

Vitali Klitschko kommentierte das so: „Diese Entscheidung wird den Zorn der Demonstrierenden weiter schüren. Wir waren nahe daran, einen Entwurf zu verabschieden, der alle Teilnehmer der friedlichen Demonstrationen von Strafe befreit hätte.“ Die von Janukowitsch abgerückte Parlamentarierin Inna Bogoslowskaja glaubt: „Die Staatsmacht wird die 15 Tage nutzen, um die Sicherheitsorgane auf einen Angriff auf das eigene Volk vorzubereiten.“

Der zurückgetretene ukrainische Premierminister und Janukowitsch-Verbündete Mykola Asarow hat unterdessen das Land in seinem Privatjet verlassen. Er flog nach Wien. Dort lebt seit einiger Zeit sein Sohn. 

Klitschko:Die Gefahr war noch nie so groß

Präsident Viktor Janukowitsch ist angeblich krank. „In der Nacht vorher hatte ich ihn noch völlig gesund und in einer aggressiven Stimmung im Parlament erlebt“, sagte Vitali Klitschko. „Ich denke, die Gefahr war noch nie so groß, dass er den Ausnahmezustand wirklich verhängt. Janukowitsch steht mit dem Rücken zur Wand und ihm ist wirklich alles zuzutrauen.“

Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier kommentierte die Lage nach einem Treffen mit seinem amerikanischen Kollegen John Kerry in Berlin: „Mein Eindruck ist, Janukowitsch hat den ganzen Ernst der Lage noch nicht erkannt. Wir wollen, dass die Ukraine eine demokratische und friedliche Zukunft hat.“ John Kerry sagte den ukrainischen Oppositionellen: „Sie haben unsere Unterstützung. Wir stärken ihren Mut.“

Kerry befürchtet wie sein deutscher Kollege, dass die Gewaltmaßnahmen aus dem Ruder laufen könnten. Beide werden daher während der Münchener Sicherheitskonferenz mit Vertretern der ukrainischen Regierung, der Opposition und auch Russlands sprechen. 

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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