Udo Bullmann: Kein europäisches Steuergeld zur Abschaffung der Demokratie
imago images / Metodi Popow
Ist heute ein historischer Tag für Europa?
Die Europäische Union hat heute auf jeden Fall einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht. Einen Schritt, der Europa in der gegenwärtigen Krise wieder handlungsfähig werden lässt. Wir sind noch lange nicht über den Berg in Sachen Corona. Deshalb ist es gut, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf das größte Haushalts- und Finanzpaket in der Geschichte der EU verständigt haben.
Wie bewerten Sie es?
Ganz entscheidend ist aus meiner Sicht, dass sich die EU darauf verständigt hat, gemeinsam Geld aufzunehmen, ohne dass die einzelnen Mitgliedsstaaten überschuldet werden. Das hat die SPD lange gefordert und es wird dringend Zeit dafür. Es ist uns Sozialdemokraten zu verdanken, dass wir hier den Brückenschlag zwischen Berlin und Paris hinbekommen haben. Erst das hat den Weg für das Wiederaufbauprogramm freigemacht, um das so lange gerungen wurde. Wichtig ist auch, dass es neben Krediten auch Zuschüsse für Länder gibt, die von der Krise besonders hart getroffen sind – also Gelder, die nicht zu fortschreitender Überschuldung führen. Auch das wäre ohne den Einsatz der SPD nicht denkbar gewesen. Insofern sehe ich in den Beschlüssen große Fortschritte.
Allerdings fallen die Zuschüsse mit 390 Milliarden Euro geringer aus als zunächst vorgeschlagen. Reichen sie trotzdem aus?
Die Reduzierung der Zuschüsse ist das Ergebnis des Gefeilsches der knausrigen Staaten, insbesondere der Regierungschefs Rutte und Kurz aus den Niederlanden und aus Österreich. Sie bilden sich ein, zuhause punkten zu können, wenn sie mit den Populisten um die Wette eifern. Ihr Auftreten in Brüssel bedauere ich sehr. Das Ergebnis muss aber im Zusammenhang des Gesamtpakets gesehen werden. Es wurde ja auch über den Mehrjährigen Finanzrahmen MFR, also den EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre, verhandelt. Leider wurde hier in sehr wichtigen Bereichen gekürzt, etwa beim Studentenaustausch oder der grünen Transformation. Da müssen wir dringend weiterverhandeln, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Möglich wäre auch, den mittelfristigen Finanzrahmen nochmal neu zu bewerten, wenn die Wiederaufbaumaßnahmen in einigen Jahren auslaufen, um dann zu sehen, ob die Gelder reichen oder nicht, und dann nochmal beim MFR nachzulegen.
Das Europaparlament wird dem vorliegenden Paket also so nicht zustimmen?
Das Europäische Parlament hat ein Mitsprachrecht beim EU-Haushalt. Es kann dem Mittelfristigen Finanzrahmen zustimmen oder ihn ablehnen. Wie es sich positioniert, werden wir diese Woche diskutieren und dann in Verhandlungen eintreten.
In welchen Bereichen muss es aus Ihrer Sicht noch Veränderungen geben, damit Sie zustimmen können?
Für die SPD und mich ist wichtig, kein Helikoptergeld zu verteilen, sondern stattdessen in die Zukunft zu investieren. Das bedeutet mehr Geld für Nachhaltigkeit und die sozial-ökologische Erneuerung. Das gilt für die Bereiche Energie und Verkehr, aber auch für die soziale Infrastruktur wie eine gute Gesundheitsversorgung. Bei der Umsetzung der Programme müssen wir darauf achten, dass all dies nicht zu kurz kommt. Das wird eine Hauptaufgabe der SPD in Berlin und in Europa sein. Ein zweiter entscheidender Punkt ist die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit. Wir dürfen nicht zulassen, dass mit europäischen Steuergeldern die Abschaffung der Demokratie finanziert wird, wie es in Ungarn und Polen geschieht. Hier ist die EU-Kommission mit Ursula von der Leyen an der Spitze dringend aufgefordert, geeignete Maßnahmen vorzulegen, wie das verhindert werden kann und wie wir die bestehenden schlechten Praktiken abstellen – etwa was die Hinterziehung von europäischen Fördergeldern angeht.
Die Kopplung von Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien war für die SPD ein wichtiger Punkt auch bei den Verhandlungen der vergangenen Tage. Ist das aus Ihrer Sicht gelungen?
Im Kern ist der Ball zurückgespielt worden an die Europäische Kommission, die die Vergabe der Gelder auf Grundlage der europäischen Werte durchsetzen soll. Das heißt, dass Ursula von der Leyen gefordert ist, dafür zu sorgen, dass Gelder in den Ländern, in denen das Rechtsstaatsprinzip infrage gestellt ist, direkt bei denen ankommen, die sie nutzen und nicht pauschal an die Regierungen gehen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.