Überraschung in Polen: Rafał Trzaskowski könnte die Präsidentenwahl gewinnen
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Am 28. Juni finden in Polen die verschobenen Präsidentschaftswahlen statt. Von der Verschiebung um sieben Wochen hat die Opposition am meisten profitiert: War im Mai ein Sieg des Amtsinhabers Andrzej Duda schon in der ersten Runde im Bereich des Möglichen, so muss der konservative PiS-Politiker jetzt um die Wiederwahl bangen. Die liberale PO, die größte Oppositionspartei, hat in der Zwischenzeit den Kandidaten gewechselt und tritt nun mit dem Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski an. Dem 48-jährigen Berufspolitiker ist es in kurzer Zeit gelungen, die Stimmung im Lande zu drehen. Umfragen zeigen, dass er in der am 12. Juli anstehenden Stichwahl durchaus Chancen hat, den amtierenden Präsidenten zu schlagen.
Trzaskowski setzt auf Einigung statt Spaltung
Trzaskowski hat im Wahlkampf fast alles richtig gemacht: Er hat die sozialen Ängste der Polen angesprochen, indem er versprochen hat, wesentliche Aspekte der engagierten Sozialpolitik der PiS nicht in Frage zu stellen. Und er hat nicht den harten Anti-PiS-Agitator gegeben, sondern eine einigende Botschaft verkündet: Dass das Land genug habe von der Spaltungspolitik der PiS. Damit formuliert er Erwartungen an die Rolle des Staatoberhaupts als einer Person, die die ganze Nation repräsentieren muss, und nicht nur die gleichgesinnte Hälfte.
Andrej Dudas Wahlkampf ist dagegen lange Zeit aus der Spur gewesen. Ein effizientes Rezept gegen Trzaskowski haben die PiS-Wahlkampfmanager und spin doctors eigentlich bis jetzt nicht gefunden. Der Amtsinhaber setzt nun voll auf soziale Themen: Einen Gutschein für Familien für die Sommerferien nach dem Lockdown, die Verteidigung der Absenkung des Rentenalters (nach der Erhöhung durch die vorhergehende PO-Regierung) und die Ankündigung von Maßnahmen zur Wiederankurbelung der Wirtschaft durch Großinvestitionen. Zudem erinnert die Kampagne unablässig daran, dass in der Krise und danach eine gute Zusammenarbeit zwischen Präsidenten und Regierung wichtig ist, um das Land rasch wieder auf die Beine zu bringen. Was so schwer vermutlich nicht werden wird: Die Wirtschaft scheint relativ rasch wieder anzuspringen und insgesamt ist Polen mit bisher nicht ganz 1.400 offiziellen „Corona-Toten“ sehr gut durch die Epidemie gekommen. Die Sterblichkeit ist eine der geringsten in Europa, auch deutlich niedriger als in Deutschland.
Konservative hetzen gegen Homosexuelle
Als Zeichen dafür, wie kritisch mittlerweile die Situation Dudas von den PiS-Strategen eingeschätzt wird, kann das Wiederaufwärmen eines erfolgreichen Mobilisierungsthemas aus dem Europawahlkampf gelten: Der Kampf gegen die „LGBT-Ideologie“. Eigentlich war davon ausgegangen worden, dass sich Duda als einigender Landesvater zur Wiederwahl stellen würde. Das Anschlagen homophober Töne im Wahlkampf in den letzten Tagen wird aber nun doch als notwendig erachtet, um ein hart konservatives Milieu zu mobilisieren. Und gab es am Mittwoch noch einen Staatsbesuch im Weißen Haus: Die Salbung durch „The Donald“ soll noch zusätzliche Stimmen bringen – nicht zuletzt in der großen polnischen Community in den USA. Erhofft wird, dass Trump die Verlegung zusätzlicher Soldaten nach Polen verkündet.
Unter der Rückkehr zum PO-PiS-Duell haben vor allem die Kandidaten der kleineren Parteien und Unabhängige gelitten. Keiner von ihnen hat laut Umfragen eine Aussicht, in die zweite Runde zu kommen. Dies gilt auch für den Kandidaten der Linken (Lewica Razem), den Europaabgeordneten Robert Biedroń. Parallel zum Umfragehoch des PO-Kandidaten gingen die Zustimmungswerte für Biedroń nach unten. Der Warschauer Bürgermeister steht eher für den progressiveren Flügel der PO und spricht auch Wähler*innen aus dem linksliberalen Lager an. Für Zwischentöne ist in dem tief polarisierten Land wenig Platz geblieben. Das musste auch der konservativ-liberale Journalist Szymon Hołownia feststellen, der sich lange Zeit Hoffnungen auf das Erreichen des zweiten Wahlgangs machen konnte, nun aber in den Umfragen abgeschlagen hinter Rafał Trzaskowski liegt.
Zweiter Wahlgang dürfte sehr eng werden
Vieles deutet darauf hin, dass die Entscheidung im zweiten Wahlgang sehr knapp sein wird. Entscheidend werden wohl die Wahlbeteiligung und der Ausgang des dann anstehenden TV-Duells sein. Und das Verhalten der Wähler der rechtsextrem-nationalistischen Konfederacja, deren Kandidat im Moment bei ca. 6 bis 7 Prozent steht. Diese Partei stellt ein widersprüchliches Konglomerat aus Ultra-Nationalisten und Ultra-Libertären dar. Gerade letztere könnten sich aus Abneigung gegen den Etatismus und die Sozialpolitik der PiS für den Kandidaten aus dem wirtschaftsliberalen PO-Lager entscheiden. Und das könnte beim zu erwartenden Fotofinish am 12.7. dann letztendlich den Ausschlag geben.