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Türkische Regierung kämpft weiter gegen die Pressefreiheit

Mit unerbittlicher Härte geht die türkische Regierung gegen die Zeitung „Cumhuriyet“ vor. Verschwörungstheorien sollen dabei die Verhaftung von Journalisten rechtfertigen. Wird Präsident Erdoğan das Land damit endgültig isolieren?
von Paul Starzmann · 1. November 2016
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Als die aktuelle Ausgabe der „Cumhuriyet“ am Dienstag erschien, musste die Zeitung wieder einmal über sich selbst berichten: „Darbe yine muhaliflere“ – „Noch ein Schlag gegen die Pressefreiheit“ lautete die Schlagzeile. Im Innenteil der Zeitung blieben einige Kolumnen leer. Der Grund: Weil sie im Gefängnis sitzen, können manche Redakteure ihrer Arbeit nicht nachgehen. Nach „Cumhuriyet“-Angaben wurden am Montag 15 Mitarbeiter von der Polizei festgenommen, darunter Chefredakteur Murat Sabuncu, der Karikuaturist Musa Kart sowie einige Vorstandsmitglieder der „Cumhuriyet“-Stiftung. Auch Razzien in Privatwohnungen von Journalisten wurden gemeldet.

Mit Verschwörungstheorien gegen die Pressefreiheit

Die Vorwürfe, denen sich das Team der Zeitung ausgesetzt sieht, sind bemerkenswert: Die AKP-Regierung behauptet, das oppositionelle Blatt habe Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK sowie in das „FETÖ“-Lager, der Organisation des Predigers Fetullah Gülen. Letztere macht Präsident Tayyip Erdoğan für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich.

Die Anschuldigungen, auf deren Basis die „Cumhuriyet“-Mitarbeiter verhaftet worden sind, erscheinen allerdings geradezu an den Haaren herbeigezogen: Die 1924 gegründete Zeitung steht in der Tradition des Staatsgründers Kemal Atatürk. Das heißt, als streng kemalistisches Blatt ist die „Cumhuriyet“ gegen jeden, der die nationale Integrität der Türkischen Republik in Frage stellt – und damit auch strikt gegen die PKK. Als säkulares Medium steht sie außerdem für die laizistische Türkei. Die religiöse Gülen-Bewegung jedoch fordert das genaue Gegenteil. Die Zeitung warnt sogar seit Jahren vor einer Unterwanderung des Staats durch Gülen-Anhänger. Kurz: In der „Cumhuriyet“ steht kaum jemand mehr im Fokus kritischer Berichterstattung als PKK und Gülen – mit Ausnahme der aktuellen AKP-Regierung natürlich, die nun erneut zum Schlag gegen die Pressefreiheit ausgeholt hat.

Fest entschlossen im Kampf gegen die AKP

Einschüchtern lassen sich die regierungskritischen Journalisten von den jüngsten Verhaftungen jedoch nicht, wie es scheint. Unterstützt werden sie dabei von unterschiedlicher Seite: Am Tag der Festnahmen formierten sich bereits erste Proteste vor dem Sitz der Redaktion im Istanbuler Stadtteil Şişli. Die größte Oppositionspartei CHP, der die „Cumhuriyet“ nahe steht, übte scharfe Kritik am Vorgehen der Regierung. Ihr Vorsitzender Kemal Kılıçdaroğlu sagte, die Türkei entferne sich immer schneller von der Demokratie. Die AKP-Regierung versuche, „ihr eigenes Baath-Regime zu etablieren“. Damit stellt Kılıçdaroğlu den türkischen Präsidenten Erdoğan in eine Reihe mit Diktatoren wie Saddam Hussein oder Bashar al-Assad, beide Mitglieder der panarabischen Baath-Partei.

Auch die pro-kurdische Oppositionspartei HDP, die links von der formal sozialdemokratischen CHP steht, verurteilte die Razzien bei der „Cumhuriyet“. Der HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş, der selbst im Fokus der türkischen Ermittlungsbehörden steht, geht davon aus, dass die Festgenommenen keinen fairen Prozess erwarten könnten. Die Verhaftungen seien eine „politische Operation“.

Internationale Kritik an der AKP

Auch aus Deutschland kommt Kritik. Der Deutsche Journalistenverband forderte die sofortige Freilassung des „Cumhuriyet“-Chefredakteurs. Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte gegenüber vorwärts.de: „Die Vorwürfe gegen die Zeitung sind inhaltlich nicht nachvollziehbar. Es liegt vielmehr der Verdacht auf der Hand, dass hier eines der letzten wichtigen kritischen Medien des Landes mundtot gemacht werden soll und die ohnehin schon eingeschränkte Meinungsfreiheit in der Türkei weiter beschnitten wird. Dies ist eine gefährliche Entwicklung.“

Mit der AKP-Regierung entferne sich die Türkei immer weiter vom Westen, so Annen. „Die repressiven Maßnahmen Erdoğans gefährden letztlich auch die Stabilität des Landes. Wenn wir eine weitere Entfremdung zwischen der Türkei und der EU verhindern möchten, ist eine Kurskorrektur Ankaras notwendig. Die derzeitige Außen- und Innenpolitik von Präsident Erdoğan führt das Land in eine zunehmende Isolation.“

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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